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Stützen der Gesellschaft

~ Darf ich noch ein Stück Torte anbieten?

Stützen der Gesellschaft

Archivi Mensili: giugno 2014

Der Mindestlohn als Traditionenmord

26 giovedì Giu 2014

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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Hauptsache, es schadet dem politischen Gegner.
Franz Josef Strauss

Andrea Nahles – bitte nicht gleich wegklicken! – ist Tochter eines Malermeisters, und insgesamt macht sie durchaus einen zielstrebigen und geradlinigen Eindruck; ob man die Richtung und ihre Art mag, ist natürlich eine andere Sache. Man kann sagen, dass sie sich durchgebissen hat, und aus ihrer Karriere eine bestimmte Lebensauffassung gewann: Die der hart arbeitenden Leute, die nicht mit dem Silberlöffel im Mund geboren wurden und es nie nach vorne schaffen, wenn sie sich dauernd ausbeuten, unterdrücken und schlecht behandeln lassen. Ich glaube wirklich, dass sie meint, was sie über das junge, bolognareformhalbgebildete Prekariat und den Mindestlohn sagt: „Ich beende das Modell der Generation Praktikum“. Was bedeutet: Für Praktika nach der Ausbildung gilt der gleiche Mindestlohn wie für Strassenreinigung, Geschirrspülen, Grabpfleger und eventuell sogar Lokaljournalismus.

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Folglich bezeichnen die hysterische Wirtschaft und ihre Mietmäuler Unterstützer das Praktikum in seiner bekannten Form als tot, und ich muss mit einstimmen: Denn natürlich ist es nett gewesen, für diverse Handlangertätigkeiten Praktikanten einzustellen, die wenig nutzen und noch weniger kosten, und zudem keinerlei Verpflichtungen nach sich zogen. Das ganze System erinnerte in seiner Spätphase ein wenig an die mittelalterliche Fronarbeit, zu der Massen der Bevölkerung von Adel und Kirche herangezogen wurden. Berichten zufolge haben sich die Untertanen dabei nicht gerade totgearbeitet, weshalb man in der Neuzeit von derartig sinnlosen Einrichtungen von selbst wieder abkam. Aber für die moderne Jugend gehörte es wohl irgendwie dazu, nach dem Studium nicht von Arbeitgebern umworben zu werden, sondern die Wahl zu haben, ob sie nun ein Praktikum oder einen Wurststand vor dem Einrichtungshaus machen wollen – so zumindest lautet die Legende dieser sich nun dem Ende zuneigenden Epoche einer verloren scheinenden Jugend. Der Wurststand brachte vermutlich mehr Geld für jene, die es brauchen, aber das Praktikum brachte den Nachweis, dass man nach dem Studium sehr wohl bereit war, etwas zu leisten, und diese Hingabe durch das willige Akzeptieren einer schlechte Bezahlung zum Ausdruck brachte. Das soll jetzt vorbei sein.

Nun ist das mit den Praktika ja so eine Sache – wer etwa mit einem frischen Studienabschluss in jenen Regionen lebt, in denen ich daheim bin, kann das Arbeitsamt nicht ohne das hohe Risiko einer Berufsvermittlung betreten. Es sind vielleicht nicht immer Traumberufe und die Bezahlung entspricht nicht immer dem, was in den Karrieremagazinen steht, und die Wohnorte haben keine Raves über drei Tage hinweg, aber Arbeit ist genug da. Wir haben hier Vollbeschäftigung und holen die Fachkräfte aus Italien und Spanien. Es gibt Akademien der grossen Arbeitgeber, die sogar nutzlose Orchideenstudenten wie mich schleunigst zu gut verdienenden Systemleistungsträgern umbauen würden, so ich denn bereit wäre, 37 Stunden pro Woche einer geregelten, auto- oder medikamentenverkaufenden Arbeit nachzugehen, in einem Büro ohne Stuck, Parkett, Kronleuchter und auch die Büromöbel sind da weder aus Mahagoni, noch haben sie Intarsien, und ich war da auch schon mal: Kein Rokokogemälde, nirgends. Man kann dort auch nicht sagen. Oh, ich habe gerade einen kreativen Aussetzer, ich bin mir sicher, wäre ich jetzt auf meiner Terrasse am Tegernsee, ginge es gleich besser als in dieser Gruft voller Büroleichen und Einsparpotenzialen.

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Prinzipiell, mit ein wenig Flexibilität jedenfalls wäre es durchaus möglich, dem Zwang zur minderen Beschäftigung im Praktikum zu entgehen. Meine Lieblingskellnerin auf dem Neureuthhaus, jenem Gasthof mit Blick auf die Alpenkette – man ahnt es, ich schreibe nicht in einem modrigen Kreuzgang voller innerlich Gekündigter, sondern in Bergwaldluft – kommt aus Berlin und arbeitet gerne hier bei uns. Die üblichen Praktikantengeschichten kenne ich eigentlich nur aus grösseren Städten, und sie sind dort typisch, wo eine schlechte wirtschaftliche Lage mit vielen jungen Leuten zusammentrifft, die ihre besten Jahre nicht in jenen Käffern vergeuden wollten, wo man studiert, weil es sonst nichts zu tun gibt. Und hier wiederum habe ich, zumindest in Hinblick auf die Kinder der Besserverdienenden, schon den Eindruck, dass die Generation Praktikum nicht ganz ungelegen kam. Denn mit den Praktika liess sich durchaus begründen, warum man mit dem vollen Ernst des Daseins noch ein wenig warten musste.

Schliesslich stand es ja überall in den Medien, dass für Studienabgänger nur Praktika zur Verfügung standen. Und jeder kannte genug andere, die auch nichts Besseres bekamen. Immerhin bot ein Praktikum zumindest die Chance, doch noch in eine Firma zu gelangen. So eine prekäre Beschäftigung mag für die grosse Masse wirklich ein Akt der Selbstausbeutung gewesen sein, aber bei uns ist es eben so, dass die Eltern während des Studiums das Leben, das Auto und die Eigentumswohnung bezahlt haben – jede auch noch so kleine Praktikumsentschädigung zeigte, dass die Kinder nun anfangen, diesen Sockelbetrag zu reduzieren. Und dass sie sich wirklich Mühe geben, etwas in der grossen Stadt zu erreichen. Oft genug auch in Startups, die die Zukunft und vielleicht auch der Karriereturbo sein können, wenn man nur das Richtige erwischt. Idealerweise das, bei dem man nicht vor 11 Uhr anfangen muss und nebenbei auch noch an Promotionsplanüberlegungen basteln kann. Ein Praktikum war nicht gut und keine richtige Stelle, wie die Eltern sie erwartet hätten, aber es bewies: Es geht voran.

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Bitte kein allgemeines Mitleid an dieser Stelle mit der absegnenden Finanzierungsstelle: Nicht alle Eltern hatten sich in ihrer Jugend alle Beine ausgerissen, um so schnell wie möglich den Ernst des Lebens zu erreichen. Früher gab es vor dem Studium die sinnlose Bundeswehr bei den Herren und oft eine sinnvolle Ausbildung bei den Damen, es gab keine Regelstudienzeiten und gute Gründe, warum 14 oder 16 Semester gar nicht selten waren. Rechnet man das alles zusammen, trat der volle Ernst des Lebens ohne Elterngrundversorgung oftmals auch nicht recht viel früher als heute ein, und bitte: Das war noch eine Zeit, als ein junger Arzt ein Arzt war, und keine ausgequetschte Zitrone auf einem Dienstplan, und ein Bankdirektor 40 Stunden pro Woche arbeitete. Und den Rest kein Mobiltelefon und keine Email hatte. Das junge Prekariat mag in anderen Schichten ganz schrecklich sein, wenn im Hintergrund kein Clan steht, der einen auffängt und bis zum genehmen Zeitpunkt trägt. Aber mit dem Ende der Generation Praktikum stehen all die jungen Kinder vor dem Problem, dass nun diese angenehmen Ausreden wirklich wegsterben, und der Ernst des Lebens in Büros und Kanzleien, unter alten Menschen und mit Attest, wenn man mal einen falschen Trip hatte, mit voller Härte zuschlägt.

Kein Wunder, dass sich jetzt so viele plötzlich für das Thema Crowdfunding interessieren, das man in etwa mit „Geld für irgendwas, das ich meist zu schreiben anfange, und das vielleicht später einmal kommt“ übersetzen kann. Auch da gibt es welche, die es ehrlich meinen. Aber ich kenne diese besseren Kinder, ich war ja auch so eines und finde: Eltern sollten die Phase des sanften Übergangs in das Berufsleben mannhaft selbst tragen und die Kosten für das Ende der Generation Praktikum nicht per Crowdfunding-Bettelei ihrer Kinder vergesellschaften. Auch finde ich es überhaupt nicht gut, wenn anstelle des Praktikums nun unbezahlte Senior-Advisor-Posten bei feministischen Blogprojekten treten oder was sonst den Leuten einfällt, damit sie nicht in der Arbeitsagentur Miesbach eine Festanstellung aufs Auge gedrückt bekommen. Und dortselbst vielleicht noch einen Partner finden, der es noch ernster meint und ihnen Druck macht, damit ihre eigenen Kinder es später einmal noch besser haben. Nicht so schnell, sagen sie sich heimlich, wir alle werden noch sehr lang leben und wieso sollte ich mit 25 bereits so gebunden sein, wenn ich doch morgen mal wieder für 6 Wochen bei dieser Twitteragentur anheuern kann und die bessere Espressomaschine haben sie da auch – bitte, wenigstens noch ein paar Wochen. Ich habe noch gar nicht meine Kontaktliste bei okcupid durch. Ich will leben und nicht jetzt schon sterben.

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Wir am Tegernsee haben diese Geschichte vom Brandner Kaspar und dem ewigen Leben, der den Tod erst mit Kirschgeist betrunken macht und dann beim Kartenspiel abzieht, um sich noch viele Jahre auf der Erde zu erschleichen. Das Praktikum wurde Eltern mit ganz ähnlichen Gedanken verabreicht, um noch ein paar Jahre Jugend herauszuschlagen. Jetzt beendet es die geradlinige Frau Nahles und glaubt, sie täte damit Gutes. Und Gerechtes. Und zwingt all unsere Prekären, sich neue Ausreden zu suchen, oder gar ihr Leben mit Festanstellung länger als drei Monate im Voraus zu planen, mit Krankenversicherung und all dem unerträglichen Papierkram, den man nicht mehr ein Jahr im Briefkasten vergessen kann. Haben Sie toll gemacht, Frau Nahles. Ihre Gerechtigkeit mordet unsere schönen Traditionen.

Die Zukunft will keinen Pool

23 lunedì Giu 2014

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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We’re going on a holiday now
Gonna take a villa, a small chalet
Costa del Magnifico
Yo, cost of living is so low
Dire Straits, Twisting by the pool, 1982

Das Schwimmbecken der H., stets durch das weit geöffnete Tor gut sichtbar, war damals eine Art soziale Einrichtung. Es gab zwar ein weiteres bei der Frau P gleich nebenan – aber das war nur fünf Meter lang, lag im Keller, und ausserdem kam eines Tages die Flut jener Donau, an der unsere kleine, dumme Stadt liegt, und das Grundwasser drückte aus dem sumpfigen Boden empor und sprengte die schönen, blauen Kacheln von den Wänden. So ist das Schicksal: Die K. ein paar Häuser weiter hatten lieber in einen Atombunker investiert, für einen Krieg, der nie kam, und bei der sorglosen Frau P. kam dafür die Flut. Danach hat sie den Pool nicht mehr in Betrieb genommen.

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Die H. jedenfalls hatten einen ganz normalen, nur im Sommer nutzbaren Pool. Die H.s hätten natürlich auch die 500 Meter zum nächsten Weiher gehen können, oder die anderthalb Kilometer zu jenem Eichenwaldsee, in dessen Nähe man hier zu wohnen hatte, wenn man nicht nur hausen oder vegetieren wollte. Aber der See genügte ihnen nicht, und auch das Schicksal des ersten Poolbesitzers der Stadt, der tragisch endete, hat sie nicht abhalten können: Das Grundstück war einfach zu gross. Da musste ein üppiger Pool hinein. Und so hatten einige Auserwählte aus der näheren, keinesfalls aber ferneren Umgebung ein Badevergnügen südlicher Art, denn auch die Villa der H. hätte durchaus in Florida oder an der Cote d’Azur stehen können. Manche planen ihre Häuser nach den vorhandenen Möglichkeiten, die H.s planten ihre Villa nach dem Pool.

Das Eis kam nicht vom Holzstecken, sondern aus grossen 3-Liter-Dosen und war in bunten Farben marmoriert. Es gab Sirup mit Sprudel und eine monströse Hollywoodschaukel an jeder Stelle, wo man heute einen Strandkorb von Manufaktum erwarten würde. Es gab einen Gärtner für das immergrüne Gras und eine Tochter des Hauses, die vollkommen unprätentiös war, weil sie hinter der vier Meter hohen Hecke wenig von der Welt jenseits des Viertels wusste. Aber eines Tages wurde ihr Vater ins Ausland versetzt, sie ging mit, und die Villa wurde verkauft. Den neuen Besitzern waren, so erfuhr man, die Betriebskosten für den Pool zu hoch, und auch sie wurden älter und zogen letztlich aus. Deshalb sehen Haus und Pool jetzt so aus:

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Man hat ja durchaus versucht, es zu verkaufen. Ein Makler aus München hat sich der Sache angenommen und am Ende nur einen Preis gefordert, für den man in Schwabing noch nicht einmal ein Penthouse und in Berlin keine Favela in Mitte mehr bekommt. In den Augen der potenziellen Käufer war die Villa aber nicht Teil der grossen Geschichte des Aufstiegs dieser Stadt. Sondern fast 400 Quadratmeter umbaute Fläche, von denen 150 allein schon für die unbewohnbare Halle und das Treppenhaus verschwendet wurden. Ausserdem, so haben wir im Zuge des Verkaufs erfahren, ist es heute überhaupt nicht mehr so, dass man die Minimalgrösse eines Hauses nach dem Schlüssel

Anzahl der Personen x (60 m² Wohnraum + 20 m² Abstellfläche + Balkon) = menschenwürdiges Dasein

berechnet. Das sehen manche zwar noch immer so, und wir leben evolutionär im Jahr 2014 und eigentlich gilt dieser Schlüssel nur noch für Zweitwohnsitze – aber auf der anderen Seite haben wir einen Immobilienboom. Auf der anderen Seite der Stadt, an der Autobahn, nimmt man für Neubauten (ohne Pool, mit Aldi, ohne Dreifachgarage aber mit Klimazertifikat) gerne 5000 Euro für den Quadratmeter. So gesehen ist ein niedriger siebenstelliger Betrag für die beste Lage schon ein Schnäppchen, aber Käufer schreckten wohl auch vor dem Sanierungsbedarf zurück. Schliesslich war das Haus schon über 40 Jahre alt und musste, wollte man modernste Ansprüche verwirklichen, umgebaut und saniert werden.

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Was deshalb letztlich geblieben ist, ist die hohe Hecke – von der erwartet man, dass sie auch nach dem Geschmack der zukünftigen Bewohner ist. Sie entspricht dem modernen Wunsch nach Abschottung, Ruhe und Sicherheit in bewegten Zeiten, da niemand mehr das breite Tor den ganzen Tag lang offen stehen lassen würde, damit Eltern hier ihre Kinder abladen. Der Rest wurde vom Käufer, einem lokalen Bauträger, abgerissen. Statt dessen entsteht hier ein „Individualwohnensemble“, das geflissentlich ignoriert, wie schlecht „Individual“ – für den Einzelnen gemacht – mit „Ensemble“ – slumartige Vergesellschaftung ohne echte Privatheit – zusammen passt. Das nennt man heute „vier elegante Doppelhausvillen“, sofern man es über die Lippen bekommt, denn bitt’schön – hat man jemals eine Villa gesehen, die die Hälfte eines Doppelhauses ist? Jeder hier weiss, was eine Villa ist. Nichts gegen Doppelhäuser, sie machen ökologisch Sinn und sind ein probates Mittel gegen Platzverschwendung. Doppelhäuser sind prima! Aber eine Villa war bisher nochmal etwas anderes.

Aber alldieweil und sintemalen – das hier ist die beste Lage. Da kann man den Zuziehenden schlecht in der Werbung erzählen, dass man von ihnen eine Million für eine Doppelhausvillenhälfte will, jene Million, für die sie früher beinahe eine echte Villa bekommen hätten, mit riesigem Garten und Pool und Halle anstelle von Kleingärten und exklusiv-modischer Ausstattung in Räumen, die perfekt geschnitten sein müssen, weil es anders in diesen Hundehüt Villen nicht geht. Das ist das Elend der Gentrifizierung, von dem all die schreihälsigen Pseudogerechten, die in Berlin billlige Mieten und kostenfreie Tempelhöfe und bayerischen Finanzausgleich fordern, nie klagend berichten: Diese Gentrifizierung kostet uns nicht ein paar Blocks, sondern die gebauten Unikate der besseren Kreise. Sie kostet uns den schöneren Teil der Geschichte des Landes, das ehemalige Vorbild einer Epoche, als es noch kein Ed Hardy gab, und sich keine Mutter getrollt fühlte, wenn man dem Kind einen Negerkuss gab. Man reisst diese Villen heute ab und ersetzt sie, wie man in den den 50er Jahren die Villenviertel des Jugendstils entfernt und durch jenes soziale Wohnen ersetzt hat, das heute – zumindest bei uns – höflich und publikationstauglich sozialer Brennpunkt heisst. Man bewirbt das Objekt mit dem Titel „Altes Westviertel“, aber wer so etwas kauft, weiss nicht, was es wirklich bedeutet.

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Es war ein gebauter Raum der Sorglosigkeit und der Zukunftsbejahung. Man mag sich heute wundern, aber man beheizte hier im Frühling die unfertigen Häuser, so dass andere, die hier ebenfalls ihre Vorstellung vom Lebensglück errichteten, es bei der Besichtigung im noch fenster- und türenlosen Gebäude warm hatten – so billig war damals das Heizöl. Es ging aufwärts. Die Kinder sollten noch grössere Pools haben, und in ordentlichen Familien gut aufgehoben sein. Mehr war mehr und weniger war für die anderen. Die anderen bekommen jetzt ihre Gleichmacherei auf dem lügenversilberten Tablett der Werbung, für den hohen Eintrittspreis in diese Gegend, für die kleine Selbsttäuschung, dass die DHH eine Villa sei, und sie jetzt auch angekommen sind. Vielleicht schauen sie auch ein wenig herab auf jene alten Anlagen, die in der Nachbarschaft in grossen, verwachsenen Gärten noch die Stellung gegen die Gegenwart halten, und einer ist sogar so freundlich, jetzt jenes sinnlose, rustikale Türmchen zu restaurieren, das für mich in meiner Jugend immer das Idealbeispiel der Bausünde war – heute bin ich älter. Heute kenne ich eine Zukunft, die ganz anders ist als alles, das man sich vorstellen kann. Und sie ist so schön wie eine „Doppelhausvilla“.

And we can still get information
Reading all about inflation
And you’re never gonna be out of reach
There’s a call-box on the beach

heisst es in „Twisting by the Pool“. Die Zukunft hat dort inzwischen angerufen, ihren Weg durch die Glasfaserkabel gemacht, und wie damals die grosse Donauflut auch hier alle Kacheln von den Wänden gesprengt. Die nächsten Kinder werden eine komplette Überwachungsanlage haben, und man wird sie überall sehr menschlich, egalitär und sozial gleichmachend darum bitten, sich zu engagieren, während im Hintergrund die Bagger weiterziehen und den nächsten alten Bauherrntraum für die neue Kosten-Nutzenrechnung wegschieben. Denn an Geld ist in Zeiten des digitalen Druckens nie ein Mangel, und es sucht sich seine zerstörerischen Wege durch Banken, Kredite und Profite bis zu uns.

Völker hört die Choräle

19 giovedì Giu 2014

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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Er hätte längst wieder Nachts um 3 Uhr eine dieser typischen, freundlich-drängelnden Mails geschickt, was los ist und wo der nächste Text bleibt, und er hätte natürlich, wie immer, damit recht gehabt. Aber diesmal ist das Schreiben unendlich schwer. Ich finde übrigens, Minimum ist sein bestes Buch und deshalb:

Man könnte fast glauben, die Familie R. müsste ideale Partner für andere alteingesessene Familien der Stadt hervorbringen, zumal, wenn beide Clans ihre Position dem gleichen, einträglichen Handwerk verdanken. Aber wie es nun mal so ist, die einen gingen am Sonntag mit Freunden auf die Jagd und die anderen in die Kirche. Und weil man von den gleichen Lieferanten abhängig war, und ein halbes Reh in schlechten Zeiten Türen öffnet, die vor religiösen Ermahnungen wie „Du sollst nicht mir der Magd P. ein g’schlampertes Verhältnis haben“ verschlossen bleiben – weil nun also die Charaktere der Familien so unterschiedlich waren, konnte es nicht ausbleiben, dass die R.s unten am Fluss unter sich blieben, und wir oben bei der ehemaligen Universität.

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Solche alten Geschichten jedoch erzählt man Kindern nicht, und das jüngste Mitglied der Familie R fand ich ganz von alleine wenig erbaulich, als wir das Pech hatten, eine Weile in der gleichen Klasse zu sein. Erzählte ich meiner Grossmutter von der sehr religiösen Streberin, erzählte sie mir dann doch all die Geschichten von den fragwürdigen, bigotten und klassenübergreifenden Liebschaften, die Sie, liebe Leser, nichts angehen, weil erstens wäre das nicht gut für den Ruf unserer angesehenen Stadt und zweitens gehört das hier auch nicht her, denn ich hatte natürlich gar nichts mit der jüngsten R. zu schaffen. Die R. jedenfalls war unter ständiger Kontrolle und wer auch nur das harmloseste Vergnügen mit ihr teilen wollte, musste erst den Test der Eltern bestehen. Bei mir hätten sie vermutlich sofort gewusst, woher ich komme und wie damals mein Opa nach zu viel Schnaps an Silvester mit dem Gewehr also ach so jedenfalls war ich damals nicht die Zielgruppe und jener linkische Junge, der sie dann wollte und mangels Alternativen auch bekam, musste wahrhaftig als Leumund den Priester seiner Gemeinde heranbringen. Immerhin hat er sie so vor klösterlichen Flausen bewahrt und für den Weiterbestand der R.s gesorgt.

Das ist jetzt ein Viertel Jahrhundert her und seit ein paar Monaten lese ich auf dem Twitteraccount ihrer ältesten Tochter mit, wie schlecht sie das Männerangebot von OkCupid an ihrem Studienort findet.

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Aber natürlich lebt der Glaube weiter und ihre Familie geht mit, wenn der Fronleichnamszug durch die Altstadt führt. Er erweist auch meinem Haus Referenz, denn es spielt in der Geschichte der Gegenreformation eine historisch bedeutende Rolle, und Fronleichnam ist nun mal das Fest, das wie kein zweites den Unterschied zwischen Katholiken und Ketzern den Konfessionen herausstellt. Erfunden wurde es erst im hohen Mittelalter. Luther hasste es, während der Aufklärung wurde es energisch auch vom Staat bekämpft, aber inzwischen gehören diese Züge wieder zur Normalität, gerade in dieser Stadt, die für sich schon ein Symbol des einzig wahren Glaubens war. Hier hat man den Schweden widerstanden, dem Gustav Adolf das Pferd unter dem Hintern weggeschossen und ausgestopft, weshalb alle Schulkinder ins Stadtmuseum müssen, um dort anhand des Gauls zu lernen, was für Verteidiger des Glaubens wir damals gewesen sind, kein Lutheranerkind war vor Katholischmachung sicher – was? Kllngt nach Isis? Irak? Boko Haram, meinen Sie?

Aber nein. So, wie sich in den 25 Jahren zwischen der Elternvorstellung bei den R.s und den Klagen über die Partnerqualität beim Dating viel geändert hat, hat sich auch hier in der Stadt einiges getan. Allein schon der Klang, wenn sie die Strasse herunterziehen: Man hört es nur wegen der Lautsprecher. Sie brauchen Lautsprecher, um sich in der Stadt Gehör zu verschaffen, sie brauchen sie für die Kommunikation in ihrer Gruppe, und das klingt dann gar nicht mehr eindrucksvoll oder überzeugend, sondern wie ein Notbehelf. Volle Überzeugung klingt anders. Und es steht auch niemand an der Strasse und schliesst sich an, der Aufzug findet, wenn man so will, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

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Früher war es üblich, lebende Bilder mitzuführen, und den Zug mit Vertretern aller Schichten und Zünfte zu begleiten. Es war einer dieser einigenden Anlässe, die wirklich alle Rechtgläubigen umfassten. Heute marschieren mit: Die Fahnenträger der Kolpinggemeinde, des Bauernbundes, die Reservisten und die katholische Burschenschaft. Und alte Leute. Viele alte Leute und Ministrantinnen, um die man auch hier nicht mehr herumkommt, weil der männliche Nachwuchs fehlt. Zwischen den Fahnen erheben sich die Lautsprecher in die Höhe, und den Teilnehmern wird angesagt, was man jetzt zu singen habe. In der Mitte ist immer noch die Monstranz mit der Hostie unter dem Baldachin, aber an den Rändern ist vieles weggebrochen.

Daheim am Tegernsee ist es übrigens noch anders. Das ist ein Dorf, und da geht man auch nicht so leger in Alltagskleidung hin. Dort kommen sie alle in Tracht, und weil das prächtig aussieht, vor den Bergen und vor dem See, alle in der besten Kleidung und herausgeputzt und mit vielen Blumen, ist es inzwischen eine Attraktion für jene Münchner, die am Abend den Stau auf der Autobahn verursachen werden. Aber hier in der Altstadt bleiben sie unter sich und singen ihre Lieder eher leise, so, als wollten sie gar nicht stören und wären froh, bald in der Kirche zu sein, wo sie wieder unter sich sind, mit Mauern aussenrum, und nicht in einer ausgestorbenen Stadt entlang der Mauern von ehemaligen Kirchengebäuden ziehen müssen, von denen eines heute ein Sterbekloster ist.

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Zufälligerweise habe ich davor noch das Te Deum von Charpentier gehört, das, vorsichtig gesagt, ganz anders aufträgt und mit seinen Trommeln und Bläsern unmissverständlich den weltbeherrschenden Anspruch der Veranstaltung dokumentiert. So war dieser Umzug wohl gedacht, so würde er auch zu meinem Haus passen, auf dem eine die Schlange des Unglaubens zertretende Madonna im Strahlenkranz vom ideologischen und militärischen Sieg kündet. Und während dort unten zwischen den Hauswänden die Megaphone unschön klingen, wünscht man mir im Internet einen schönen Feiertag. Es tun dies die Konservativen in der CSU, die sich zusammengeschlossen haben, um die Partei wieder auf den richtigen Weg zu bringen, konservativer, christlicher, gläubiger. Ob sie wohl wissen, was ihre Enkelinnen im Internet so tun?

Weiter geht der Zug, biegt an der Ecke ab und wendet sich der Asamkirche zu, während hinten immer noch Nachzügler kommen: Kinder, die gespielt haben, alte, gebrechliche Frauen, die gestützt auf den Rollator ihre liebe Not mit dem Kopfsteinpflaster und der Hitze des Sommertags haben, und danach der Sanitäter, falls etwas passieren sollte, denn man weiss ja nie. Die R. habe ich auch gesehen, und der Mann war auch dabei. Sie sah damals nicht wirklich jung aus, sondern eher streng, und so ist es geblieben. Oder es wirkt nur so alterslos, denn sie ist hier eine der Jüngsten.

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In Berlin, so hat man mir erzählt, gibt es spezielle Aufzüge für das ungeborene Leben, und da stehen dann freche Leute daneben und singen „Eure Kinder werden so wie wir“. Das kann schon sein, aber ich denke, die Erfahrung muss man ihnen selbst überlassen. Vermutlich wissen sie es, aber sie hängen nun mal an den Traditionen, und ich weiss nicht, warum ich der letzten alten Frau, die vor dem Sanitäter herschwankt, nicht mit dem gleichen Respekt wie jedem anderen begegnen soll. Wenn es einmal um die weisse Hochzeit gehen wird, werden all die Töchter für ein paar Tage wieder zum wahren Glauben zurückkehren, der hier so verzweifelt von den Verbleibenden hochgehalten wird, und die Unerbittlichkeit, mit der die Räder über das Pflaster klappern, heute und morgen früh dann wieder zur Messe, tut in unserer Gesellschaft keinem mehr weh. Ein jeder kann seiner Wege gehen, ob nun zur Prozession oder zum Festival, und kommen wird es, wie es kommt. Die einen werden marschieren und singen, und die anderen arbeiten am Feiertag, und am kommenden Sonntag wird in der Kirche, in der sie feiern, wieder ein säkulares Konzert gegeben: Dort treffen wir uns dann wieder alle und einigen uns auf den kleinsten, gemeinsamen Mozartnenner unserer traditionellen Werte, während die Tochter der R. weit weg Bestandteil einer langen Liste irgendeines Don Giovannis wird, den sie letztlich doch im Internet gefunden hat, denn vuol d’estate la magrotta.

Der Wolf liest Gratian und Verne

14 sabato Giu 2014

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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Wer etwas “Persönliches” lesen will, kann das ja bei gewissen Bloggern und Twitterern tun, die jetzt private Kommunikation online stellen, von Versöhnung faseln oder anderweitig mit Bekanntschaften angeben, die, sofern sie nicht ohnehin auf Erfindung und Aufbauschung beruhen, keinesfalls an einem akzeptablen Ende überlebt wurden, wenn ich das so frei sagen darf. (Er würde von dieser Formulierung abraten und sie wahrscheinlich trotzdem durchgehen lassen.)

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Der an sich stets quicklebendige und hellwache Frank Schirrmacher hatte das Pech, in eine Epoche des Pessimismuns und des generellen Unbehagens mit einer von scharfen Umbrüchen gekennteichneten Gesellschaft hineingeboren zu sein, und er arbeitete vom Ende der in Gemürlichkeit erstickenden, alten Bonner Republik bis zum Anbruch der Herrschaft der Maschinen und Modelle. Solche komplexen Veränderungen schieben, wenn das Gespräch auf sie kommt, oft das Heitere, das Taugenichtshafte und Flatternde eines Wesen beiseite. Was unserer Epoche vermutlich zurecht fehlt, ist das Gefühl, dass der Fortschritt etwas sein könnte, das man begeistert in Empfang nehmen könnte – dazu ist in der Moderne einfach zu viel passiert, als dass man sich einer Begeisterung hingeben könnte, wie Jules Verne sie – gebrochen, aber auch von Optimismus durchdrungen – beschrieb, weiterdachte und erfand. Flugmaschinen, Kontinente und Ideologien sind ausgereizt bis zum Erbrechen über die Schmach unseres Versagens, und da brauchte es eben einen, der hinter all die schönen Kulissen und netten Worte blickte, und sich seinen Reim darauf machte, für die nahe und ferne Zukunft, phantastisch und leider auch zu schnell Realität.

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Auch eine negative Utopie, geboren aus dem Bewusstsein, die Freiheit des Individuums könnte nur eine kurze Phase gewesen sein, und bei nächster Gelegenheit wieder abgeschafft werden, auch diese kritische Verweigerung der netten Versprechungen kann nie vollkommen richtig sein. Ich muss da neben Jules Verne an den Vater des Kirchenrechts denken: Gratian hat im 12. Jahrhundert ein aus sich heraus wunderbares Buch geschrieben, Concordia Discordantium Canonum, Die Übereinstimmung entgegenstehender Regeln, indem er versuchte, die im Lauf der Zeit widersprüchliche Kirchengesetzgebung zu vereinheitlichen, selbst wenn das formal überhaupt nicht möglich war, und in jener Zeit an Ketzerei grenzte. Schliesslich wagte es Gratian, Herrschaftswissen der Kirche auf normale Fragestellungen herabzubrechen, und daran angelehnt die diversen, eigentlich unabänderlichen Gesetze frei und bisweilen lustvoll bis an die Grenze ihrer Verleugnung zu interpretieren.

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Dafür bedurfte es einer gewissen Geistes- und Interpretationsfreiheit, und die Fähigkeit, manches Unpassende auch mal passend zu machen. Leser dieses realitätsverweigernden FAZ-Blogs mit einer erfundenen Figur als Autor werden ahnen, dass im Hause des Vaters nicht immer absolut jede streng objektive Regel der Wissenschaftlichkeit eingehalten werden konnte, und man für viele seiner Thesen auch Gegenbeispiele bringen könnte. Aber während Gratian noch das Glück hatte, dass die Autoren seiner Forschungsbereiche längst tot und und ohne Chance auf Gegenwehr verschimmelt waren, und Jules Verne im Wissen lebte, dass er sich mit den Helden seiner Zukunft nicht herumschlagen müsste, scheute Schirrmacher nicht davor zurück, sich mit den Lebenden anzulegen und normalerweise längst 20 Schritte weiter zu sein, bevor die andere Seite anfangen konnte, sich über die lässige Nichtberücksichtigunjg ihrer Sichtweise aufzuregen. Und da kommt es dann her, dass manche Abgehängte und Systemdenkende ihn so lange als Verschwörungstheoretiker abtaten, bis dann Staatstrojaner kamen – oder eben jüngst die Geschichte mit dem Bank Run in Griechenland und drohenden Ende des Euro, die man mit drei Geldflugzeugen gerade noch stoppen konnte, während andere längst wieder die Lüge vom Ende der Krise verbreiteten. Er tat, was er konnte, und wofür Platz und Zeit war. Man hätte Dutzende von seiner Sorte gebraucht.

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In den fünfeinhalb Jahren, da ich unter ihm bloggen durfte, gab es so viel Hass und Missgunst, und als ich schrieb, ich würde da arbeiten, wurde ich mit Mails überhäuft, ich sollte das ja nicht tun und ich wüsste gar nicht, auf wen ich mich da einliesse – nach 6 Wochen wäre ich von dem “Monster” wieder weg. Manche von denen, die sich jetzt mit Respekt verneigen wollen, haben diese Branchengerüchte befeuert, aufgebauscht und zu einem angeblichen Schirrmachersystem verdichtet, in dem Launenhaftigkeit und Unberechenbarkeit stete Risikofaktoren sind. Das stimmt nicht. Die Leser durften sich immer überrascht fühlen, und die Kollegen düpiert, wenn sie erst mal nachlesen mussten, was der da jetzt schon wieder schreibt, fabuliert und an unpassenden Enden so verbindet, dass am Ende dort eine eigene Wahrheit steht, die gekauft, gelesen und mit gutem Recht ernst genommen wird.

Monster, kläffen die Pudel, wenn sie einen Wolf sehen und damit vor dem zittern, was man ihnen ausdomestiziert, herausgeprügelt und weggezüchtet hat.

Das war ein Schirrmacherblog

12 giovedì Giu 2014

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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Es war mit ihm abgesprochen, geplant und wurde auch mit ihm durchgezogen, gegen alle Widerstände, und mit einem unglaublichen Vertrauensvorschuss. Tatsächlich hatte ich nie den Eindruck, dass ich für die FAZ schreibe, sondern halt für meinen Chef. Den Besten, den ich je hatte. Ich hätte mich sonst nie so reingehängt. Die beste Verpflichtung, die man haben konnte.

Und deshalb kann ich mir gerade nicht vorstellen, wie es hier weitergehen soll und kann. Vexilla Regis prodeunt Inferni.

Armageddon allenthalben

10 martedì Giu 2014

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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Kennen Sie schon die neuestem wichtigste Entscheidungsschlacht der Zukunft des Netzes, wo Gut gegen Böse antritt?

Ich möchte zur Einstimmung ein paar Bilder zeigen. Die Kirche hier ist mitten aus einem Gebäude heraus aufgenommen. Welches Gebäude, werden Sie fragen – na das, von dem der Gasanschluss noch in die Luft ragt. Der ist noch da.

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Das hier war mal ein Bad. Es ist etwas unordentlich, was peinlich ist, denn man kann es von der Strasse aus betreten – es hat nur noch eine Rückwand.

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Dieses Grundstück ist zu verkaufen, und wie Sie sehen, muss man da gar nicht mehr fundamentieren. Ein paar Steinreihen sind noch da.

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Wie unschwer zu erkennen ist, war das hier einmal ein Balkon.

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Und das hier war bis vor zwei Jahren eine Bar.

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Das ist hier bei uns, in Mitteleuropa, und wer vielleicht jetzt erst in Urlaub fährt, sollte in Italien ruhig einmal die Autobahn in Mantua verlassen und auf beliebigen Strassen Richtung Modena oder Ferrara fahren. Am besten über die ganz kleinen Landstrassen. Nehmen Sie auf jeden Fall aber Concordia sulla Secchia mit, und besuchen Sie dort im vom Erdbeben zerstörten Stadtzentrum die gerade neu eröffnete Bar Tiffany. Das ist im Moment einer der surrealsten Plätze des Planeten in einer Geisterstadt, die bis vor ziemlich genau zwei Jahren eine entzückende kleine Landstadt war. Vielleicht kennen Sie sie aus der FAZ, ich war seitdem ein paar Mal unten und habe darüber geschrieben, dass es kaum etwas über die Rekonstruktion zu schreiben gibt, denn Italien ist pleite und vieles sieht bis auf die inzwischen meterhohen Unkrautstauden so aus, wie ich es vor zwei Jahren nach einigen wirklich harten Tagen verlassen habe. Bei einer Flut kann man davonlaufen und ein Feuer kann man löschen, aber ein Erdbeben? Passiert und ist schnell wieder vergessen. Ausser bei denen, die hier seit zwei Jahren ausharren und sicher auch nächstes Jahr um diese Zeit Probleme haben, von denen man sich hier keine Vorstellung macht, und gemeinsam darum kämpfen, dass es besser wird.

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Momentan werde ich hier im Internet von allen Seiten bestürmt, doch an das Gemeinsame zu denken. Das Verbindende. Das absolut Bedeutende und Wichtige, was wir als Netzgemeinde an den Tastaturen erreichen müssen. Man berichtet ja über uns, also müssen wir wichtig sein, denn nichts kommt heute ohne die Meinung der Netzgemeinde aus. Ich soll also mit der Masse gehen und mich einreihen, oder wenigstens den Mund halten, wenn ich Kritik vorzubringen habe, um anderen die Chancen nicht zu verbauen. Es geht ja um die gute Sache. Ich fahre 200 Kilometer durch die Zona Rossa, wo immer noch die Wohnwägen in den Gärten stehen, und die Fabriken nach Rumänien gingen. und die Häuser mit Drahtseilen vor dem Zerplatzen gesichert sind, ich komme aus einer Region mit absoluten Erfahrungen, in der auch ich ein paar mal so schnell aus wackelnden Häusern und Ruinen gerannt bin, als wären drei Teufel hinter mir her. Ich komme aus einem Gebiet, wo die Menschen in allen Vereinen versuchen, Geld zuammenzukratzen, Ich komme aus einem Gebiet, in dem bei allen Abhebungen darum gebeten wird, etwas für diese in seinen Grundfesten erschütterte Kulturlandschaft zu tun, und in dem jetzt brutal entschieden wird, was man vielleicht an Heimat noch retten kann, und was weggeschoben werden muss, weil kein Geld da ist.

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Und dann sagt mir ein Typ, der gerade eine Hasstirade gegen einen Internetkritiker bei SPON schrieb, wie sehr er unbedingt zu einem Kongress nach Amerika will, um dort von Postprivacy zu erzählen. Für den Flug ist aber kein Geld da, das sollen wir ihm finanzieren. Einfach mal eben so. Die Krautreporterfreunde lassen mich wissen, dass es an mir hängt, ob das gute Projekt lebt oder stirbt und ich dann mit schuld bin, wenn man die Internetszene auslacht. Es gibt bei Twitter einen Hashtag namens „Yesallwomen“, der mir möglichst laut davon berichten soll, was DIE und ALLE Frauen von uns Männern zu befürchten haben, auch wenn der Anlass ein einziger, geistig kranker Amokläufer in den USA war. Andere Meinungen sind da erst gar nicht gefragt, es sind ja Alle, die es so sehen. Ich komme aus einer Region, in der die Menschen ihre Heimat verloren haben und in ständiger Furcht vor dem nächsten Knirschen der Erde leben, ich habe das Theater meiner Freunde in Trümmern gesehen und die Balken, die die Bühne durchschlagen haben und keiner, niemand, mit dem ich sprach, wollte etwas von mir. Aber hier muss ich ganz vorsichtig sein, wenn ich einmal darauf hinweise, dass einem Crowdfunding für ein Buch dasselbe auch zeitnah zu folgen habe. Ich könnte ja einen Autoren, der es mit Hilfe der Netzgemeinde gegen das System der bösen Verlagswelt mit unseren Themen geschafft hat, unter Druck setzen. Hier soll ich mal besser für die Webseite eines Politikberaters und Agenturbesitzers zur Netzpolitik spenden, sonst bin ich ein Verräter der gemeinsamen Sache, auch wenn der Berater mit einem anderen eher so dahin gestümperten Vereinsversuch viel Schaden angerichtet hat. Darf ich überhaupt noch erwähnen, dass auch das Open Data Network aus dem gleichen Umfeld eher tot aussieht?

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Oh pardon, und ich darf natürlich auch nicht meinungsfreiheitlich Unschönes über die Piraten schreiben, denn wer sonst schützt mich vor dem Freihandelsabkommen und meine Daten, wenn er denn bei Wahlen mehr als lumpige 1,4% nach linksradikalen Querelen bekäme. Ich muss ja an das Verbindende denken – oder ich habe eine Agenda, die Partei zu zerstören. Ich sollte auch dringend für deren Steckenpferde wie von der Antifa veranstaltete Flüchtlingscamps spenden, um unser Asylsystem in die Knie zu zwingen. Immer schön den Mund halten und die Geldbörse für Macher öffnen, sonst wird man ganz schnell ein Rassist, ein Querulant, ein Fremdenfeind, ein Masku, oder wie das unter der blauschwarzen, internetdorfdumpfen Regierung in Österreich hiess, ein Vernaderer. Und wenn ich statt der nächsten Ruine hier einen Screenshot aus einem geschlossenen Forum anhängen würde, in dem eine bekannte deutsche Netzaktivistin nach einem vergeigten Wahlkampf, den sie für Buchwerbung benutzt hat, ihre Unlust für eine weitere Amtszeit verkündet, wäre das auch ganz gemein. Man müsste doch sehen, was sie für Open Data und Open Gouverment geleistet hat.

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Das hier war mal eine kleine Fabrik und sie wird nie mehr wiederkommen. Wie viele andere. Ich muss in Mantua nur das Haus verlassen und 100 Meter gehen, dann kommt ein Schild, das ein Jahr Protest gegen die Verlagerung des grössten Arbeitgebers des Ortes feiert. Ich komme zurück und lese Forderungen nach mehr Förderung für netzbasierte Kunstaktionen, nach Awareness-Teams, die sich um jede Form möglicher seelenverletzender Diskriminierung kümmern sollen, und Kampagnen für genderneutrale Schreibweisen, die mir klarmachen sollen, wie viel noch zu tun ist, und dass ich besser den Mund halte und den Aktivisten mit ihren rabiaten und für die gute Sache menschenverachtenden Twitteraccounts nicht im Weg stehe, wenn sie Politik und Gesellschaft anmaulen. Man soll das Leid der einen nicht gegen die Probleme der anderen aufrechnen, aber auch mein Spendenkonto, meine Bereitschaft, mich finanziell für dieses Netz der Selbstbereichernden und moralischen Klingelbeutelhinhalter zu engagieren, und im Zweifelsfall bei Fehlentwicklungen den Mund zu halten, ist begrenzt. Es gibt mehr als Terremoto, es gibt Obdachlosenhilfe, Frauenhäuser, Kinderhospize, die Bergwacht, den Vogelschutzbund und von mir aus auch den Verein der historischen Rosenzüchter, die mehr tun als eine Website hochschalten und winseln, wenn das nicht das gewünschte Ergebnis gibt, und mit dem Finger auf jene zu zeigen, die sich dem aktuellen Mainstream des alleinigen Netzgutundrichtigseins verschliessen.

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Ich habe diesmal nur rund 500 Bilder gemacht, und hinter jedem einzelnen steht ein Leid von indiviuellen, namenlosen Menschen ohne Stimme im Netz, so viel grösser und schwerer als das, was hier im Internet als wichtige Aufgaben der Netzgemeinde von anderen Individuen so rumgetrötet wird. Individuen, die mir sagen, was die Netzgemeinde ist und was ich dafür tun soll. Es gehört in dieser Gemeinde schon einiges an Mut dazu zu sagen, dass ich das anders sehe. Und dass die inzwischen offensichtliche Schwäche dieser Gemeinde vielleicht genau darin begründet ist, dass sie nicht wirklich anpackt, sondern nur metafaselt von dem, was getan werden muss, moralischen Druck aufbaut, sich einen Flug bezahlen lassen möchte. Die Gemeinde versteht nicht, dass man diesem Druck durchaus elegant ausweichen kann, indem man diese Leute ignoriert und die Netzgemeinde zu dem hysterischen Sumpf der moralisch Überlegenen eindampfen lässt, die sie in weiten Teilen schon ist.

Concordia sulla Secchia wird noch Jahre brauchen, um wieder eine hübsche Landstadt zu werden, aber es gibt dort wieder eine Bar als ersten Ort der Kommunikation. Weil Individuen dort etwas tun, statt nur zu reden.

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Initiiert, mitausgeheckt, eingetütet und leider auch manchmal durch meine halsstarrige Art erduldet von Frank Schirrmacher

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