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Stützen der Gesellschaft

~ Darf ich noch ein Stück Torte anbieten?

Stützen der Gesellschaft

Archivi Mensili: aprile 2013

Baden gehen vor den prooligarchischen Schutzwällen

30 martedì Apr 2013

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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Und wenig später schlief die gramerfüllte, schmächtige alte Frau wieder ein.
Luigi Pirandello, Einer nach dem anderen

Nicht alles ist in Sizilien verschlossen oder verrammelt: Israel hat noch militantere Mauern und Absperrungen als der italienische Süden. Will man etwa mit dem Auto gegen die Einbahnstrasse hinauf zum Andromeda Hill über Jaffa, wo die Reichen ihre Luxuswohnungen haben, bohren sich hochgestellte Krallen in die Reifen. Die Städte sind voll mit Überwachungskameras. Der Stacheldraht in Israel ist prominenter platziert, und die allgegenwärtige Bewaffnung tut ein Übriges, damit man sich ein wenig ausgeschlossen vorkommt.

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Aber auch Sizilien kann sich brutal abgrenzen. Glasscherben verunzieren auch auf den schönsten Weltkulturerbemauern in Ragusa, Hecken aus stachligen und ungepflegten Opuntien begleiten die Landstrassen, es finden sch mehrere Meter hohe Stahlgitter an den Grundstücken und Eisenstangen und Maschendrähte in den Fenstern, oder eben das immer nur zu einem Drittel geöffnete Eisentor vor dem Hotel, das zum Land hin, soweit man es überhaupt hinter Mauern und Hecken sieht, wie eine Festung wirkt. Vor ein paar Jahren hat man in Italien ein Gesetz beschlossen, das es Hausbesitzern erlaubt, ihren Grund und Boden mit der eigenen Waffe zu verteidigen: In Sizilien würde ich das Privateigentum, wenn es ausgeschildert ist, aus Gründen der Gesundheit achten.

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Das hier ist natürlich kein Hotelstrand wie bei uns im Ressort, der sauber gepflegt ist, und exakt so viele Liegestühle wie das Hotel Betten hat, und am einen Ende über eine künstliche Klippe und am anderen Ende eine normannische Burg verfügt, die man nicht passieren kann. Das hier ist der Strand von Kamarina, ungefähr auf halbem Weg zwischen meinem Hotel mit seiner Schweizer Gründlichkeit und internationalem Personal in internationalem Schwarz, und Marina di Ragusa, ein Ort, der ein wenig das Heiligendamm von Sizilien sein möchte. Nach Süden hin ist der Strand von einem Hügel abgeschlossen, auf dem die antike Siedlung Kamarina liegt; will man dort die Grabungen besichtigen, muss man eine Erklärung unterschreiben, dass man es auf eigene Gefahr tut und über die Risiken durch Ungeziefer aufgeklärt wurde. Auf einem Schild steht dann noch einmal, dass man den Bio Hazard fürchten soll, der sich dort in Form von Insekten und Reptilien breit macht. Würde man vom Strand über den Hügel wandern, käme die nächste hässliche Mauer im Gestrüpp: In der nächsten Bucht hat sich ein Ferienclub breit gemacht, der die Überlebenden des Bio Hazard ausschliessen möchte.

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Man darf sich von den Bildern der angrenzenden Architektur nicht täuschen lassen; der Strand von Kamarina ist wirklich schön und mit einem kräftig anbrandenden Meer gesegnet, das den Eindruck eines grenzenlosen Wassers macht. Man kann über Kilometer über feinen Sand laufen und Muscheln sammeln, es riecht gut und salzig, und der Wind bläst die warme Luft aus Afrika herüber. All der angeschwemmte Müll nimmt dem Strand nur wenig von seiner Schönheit, und weil er so leer und so lang ist, stellt sich hier auch das Gefühl ein: Hier endet Sizilien. Hier ist Italien zu Ende. Hier versinkt Europa in den Fluten. Und das ist wirklich so, denn während ich an diesem schmutzigen, demokratischen, freien und allgemein zugänglichen Strand war, hat man sich in Rom entschieden, eine Regierung zu bilden, die im Grossen und Ganzen das tut, was Berlusconi während des Wahlkampfes versprochen hat. Man erinnert sich vielleicht an den Jubel der ökonomisierten Presse, die behauptete, die Märkte hätten diese peinliche Figur hinweggefegt: Jetzt ist er wieder da, als wäre nichts gewesen, und die Märkte feiern das ausgiebig.

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Und die deutschen Medien feiern den Umstand, dass eine Ministerin des ausgeklüngelten Kabinetts deutscher Herkunft ist. Das verdeckt natürlich einen kleinen Schönheitsfehler, denn der neue Ministerpräsident hat sogleich genau das verkündet, was der zentrale Punkt in Berlusconis Wahlkampf und der Sargnagel für die der deutschen Regierung genehmen Regierung Monti war: Die von Monti wieder eingeführte, verhasste Immobiliensteuer – de facto so eine Art Vermögenssteuer im Hausbesitzerland Italien – wird ersatzlos abgeschafft. Früher galt diese schmerzhafte Reform unvermeidlich für die Konsolidierung des Staatshaushaltes, jetzt wird sie abgeschafft, damit die Mehrheit der Italiener einen persönlichen Vorteil hat, und sie diese Parteien und keinesfalls den Grillo beim nächsten Mal wählt. Es geht um die Stabilität der alten Eliten, der Kaste, die Italien in die Krise geführt hat und sich nun mit markigen Reformreden anschickt, die Lösung für diese Probleme darzustellen.

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Nun haben wir also Länder un Europa, deren Banken marode und deren Jugend weitgehend arbeitslos ist: Länder, die wie Spanien Sparvorgaben mit angeblichem Bedauern nicht erfüllen, wie Portugal vom Gericht gehindert werden, oder wie Italien gar nicht daran denken, weiter zu sparen, sondern lieber das Geld in vollen Zügen ausgeben möchten, das die Zentralbank in das Wirtschaftssystem pumpt. Das bröckelnde Kamarina ist aber nicht Sylt oder der Tegernsee, und statt über Vollbeschäftigungsutopien muss man hier über Jugendgewalt und Perspektivlosigkeit sprechen: Das ist die Praxis. Auf der anderen Seite steht die offizielle Theorie der Bundesregierung, dass die Finanzkrisen in der EU in Zukunft über die enteigneten Guthaben der Bankkunden mitgelöst werden. Es ist offensichtlich, dass die politische Planung der einen nicht zu den Zwangsmassnahmen der anderen passen wird.

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Fraglos werden Berlusconis Marionetten jetzt fordern, dass sie für das Niederhalten der Wähler des Populisten Beppe Grillo belohnt werden möchten, wie auch die Griechen schon Belohnung für ihre Regierung unter Ausschluss der Eurogegner Zuwendungen wollten. Europäische Politik ist ein dreckiges Geschäft, und für die normalen Menschen hat es schon seine Richtigkeit dass der Kontinent hier so dreckig zu Ende geht. Es könnte so schön sein, wenn sich jemand dafür verantwortlich fühlen würde, und man sich entschieden hätte, all die kleinen, festbetonierten Scheusslichkeiten bleiben zu lassen, die alles so trist und hoffnungslos erscheinen lassen. Aber das hat sich so entwickelt, da kann man jetzt nichts machen, und wer es sich leisten kann, geht zu sauberen, zugemauerten Stränden, zu denen kein afrikanischer Flüchtling mit Fälschugen, kein pakistanischer Schirmverkäufer und kein Jugendlicher, der einem die Koffer tragen will, Zutritt hat.

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Seit jeher helfen Mauern beim Abschotten der Oligarchien gegen die Realität, manchmal, wie am Tegernsee oder an der Donau, dürfen sie unsichtbar sein, weil es allen gut geht und alle Nichtanwohner am Montag wieder in München arbeiten müssen, und manchmal ist es wie in Sizilien, wo die einen Wenigen die eine Bucht einmauern und die anderen Vielen die nächste Bucht bekommen, die sie dann ruinieren dürfen. Die Sonne scheint für alle, aber damit sind die Gemeinsamkeiten auch schon wieder vorbei. Solange die Mehrheiten den Eindruck haben, in diesem System trotzdem zu profitieren, werden sie es stützen, und Geld beiseite legen, um sich wie die Reichen gegen die anderen einzumauern. Europa, das zeigt sich in Italien erneut, möchte von Deutschland nicht das Sparen gelernt bekommen; und den Deutschen wiederum macht beim Einmauern keiner so schnell etwas vor. So ein ungleicher Kontinent kann lange stabil sein, wenn man die Mauern nur hoch genug macht und dafür sorgt, dass die Falschen davor bleiben müssen.

HINWEIS:

Natürlich auch bei der FAZ erhältlich.

Die Kosten für Sex in der reichen, blauen Lagune

27 sabato Apr 2013

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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Domenica, sempre Domenica
Mario Riva

An Quadratmetern hat es uns eigentlich nie wirklich gemangelt. Schaue ich mich bei meinen Bekannten um, so gab es immer irgendein Haus, das bei einem Erbfall plötzlich da war, dann noch eines, und wenn ein Kind wirklich Ansprüche auf nennenswerte Wohnflächen hatte, war einfach schon genug Auswahl da. Zuerst vielleicht noch ein ausgebautes Dach, später eine ordentliche Wohnung mit 85 Quadratmetern zusätzlich, und wenn dann noch ein Partner oder eine Partnerin kam, konnte man damit schon etwas anfangen. Das wirklich eigene Haus kommt dann aber erst mit dem Bund der Ehe. Und daran, dass ich an einem Samstag Zeit habe, das zu schreiben, und es, wenn ich nicht in Sizilien wäre, von der klassischen 3-Zimmer-Wohnung aus täte, erkennt man, dass es bei mir nie so weit gekommen ist.

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Allerdings endet auch meine Zeit an den südlichen Gestaden des Kontinents, den man früher Europa nannte und der heute eine deutsche-merkelsche Einflusssphäre ist, so wie der Warschauer Pakt halt auch nicht Warschau, sondern der Befehlsempfänger des Politbüros der KPdSU gewesen ist. Zum einen, weil jeder Luxus irgendwann enden muss und zum anderen, weil in Deutschland viel zu tun wäre; so etwa sollte irgendwann im Sommer, wurde mir bedeutet, die gute Freundin T. einer guten Freundin heiraten, die allerdings schon länger unvermittelbar ist und die folglich jemanden braucht, der mit ihr geht. Dieser Hochzeitsgast wäre dann eventuell ich gewesen. Das zumindest war der Plan, und er war so lange gut, bis die Eltern der Braut gönnerhaft den Vorschlag machten, dem jungen Paar doch das leicht restaurierungsbedürftige Haus zu geben, das sich irgendwie in das Familienvermögen geschlichen hatte, gut lag, hübsch war und obendrein dem Gatten jede Menge Gelegenheit böte, seine handwerklichen Fähigkeiten einzubringen. Denn es sei doch einiges daran zu tun.

Im Grossen und Ganzen kann man das als faires Geschäft bezeichnen, denn die Familie der T. ist nicht auf der Brennsuppn, sondern eher auf dem Kesselfleisch dahergeschwommen, und die Familie des Bräutigams hat ein paar Kinder zu viel, als dass man jedem Spross ein halbes Haus schenken könnte. Wer die heutigen Handwerkerpreise kennt, weiss natürlich, was man mit so einer Regelung alles sparen kann, und wenn man ehrlich ist, hätte die Familie T. für eine Sanierung sicher eine Viertel Million zahlen müssen. So wurde sie also ein Vermögensrisiko los, das junge Paar hatte einen leichten Start ins Leben, und der Gatte konnte der T. beweisen, dass er ein ganzer Mann war. Man kennt solche Aufgaben ja auch aus den Märchen, bei denen sie am Ende immer noch leben, wenn sie nicht gestorben sind.

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Der Bräutigam ist dabei nicht gestorben, und man muss auch sagen, dass sich so ein Garten im Frühjahr leicht ausholzen lässt. Ausserdem waren die vorhergehenden Bewohner sauber und ordentlich gewesen; die Hauptarbeiten im Inneren waren also keine allzu grosse Sache. Wenn man an den Mauern nichts änderte. Allerdings wollte die T. einen grossen Hauptraum mit Kücheninsel, wenn sie schon kein wirklich neues Haus bekam, wie es andere auch mitunter bekommen, und das stellte sich dann doch als schwierig heraus, weil auch ein Teil des Gangs integriert werden sollte und… und so geriet die überschaubare Arbeit dann doch etwas umfangreicher als erwartet. Zuerst sah es noch so aus, als würde das Bad erst nach der Hochzeit neu gefliesst werden, dann aber wurde deutlich, dass man eventuell ein wenig die Hochzeit würde verschieben müssen, damit zumindest die Halle fertig wird. Wie ein Ritter lud der Bräutigam deshalb andere Recken für das Abenteuer ein, seine Freunde halfen ihm, und so schien es, als würden für ein paar Kasten Bier und ein paar Scheine alle Gefahren für das junge Glück aus dem Weg geräumt werden.

Das Werk also gedieh und die Braut und die Schwiegereltern waren zufrieden mit dem Fortgang des Märchens. Aber irgendwann müssen sie dann zusammengesessen sein und sich gesagt haben, dass die Leistung des Gatten schön und gut sei, aber man mal mit ihm wegen des Eigentums reden müsste. Und ob er einverstanden sei, dass das Eigentum am Haus in der Hand der Frau im Sinne einer Gütertrennung bliebe. Der Mann, ein echter Cavalier und wirklich überzeugt, das ganze Leben mit der T. zu verbringen in guten Tagen wie an den Tagen, da sie ihren Tennislehrer ihrer zukünftigen Tochter traf, sagte ja. Worauf sich dann die Familie der T. noch einmal zusammensetzte und den Gatten lobte. Dann aber folgende Rechnung aufmachte:

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Die Eigenleistung des Ritters sei ja eigentlich auch nur eine Art Leistung dafür, dass er in dem Hause wohnen konnte. Also so eine Art abgearbeitete Miete. Auf Reallohn umgesetzt, wären das aber nur die Mietkosten, die er in so einem schönen, toprestaurierten Haus in Bestlage in wenigen Jahren würde aufbringen müssen. So gesehen wäre das geleistete Werk natürlich nur eine kleine Anzahlung, um dann ein ganzes Leben lang von der Familie der T. zu profitieren. Und wenn es ihm wirklich nicht um materielle Dinge ginge, dann wäre es doch nur gerecht, wenn er sich auch weiterhin an dieser tollen Immobilie beteiligte: Neben den Arbeiten und Nebenkosten stünde man deshalb auch vor der Frage, ob er folglich nicht auch eine Art Miete würde beitragen wollen. Nicht zu den marktüblichen Preisen der Region natürlich, schon eine Vorzugsmiete. Ich möchte an dieser Stelle einschieben, dass es sich in vielen gescheiterten Ehen als weise herausgestellt hat, auf Gütertrennung zu bestehen, und ich möchte auch sagen, dass es Fälle schamlosester Ausnutzung von Grosszügigkeit gibt. Und es ist natürlich jedem selbst überlassen zu überlegen, ob er wirklich die Preise für den Zutritt in diese Kreise zu zahlen bereit ist. Glauben Sie mir, man zahlt immer, auch ich zahle, ein Leben lang, aber es ist mir die Sache wert und ich kenne es nicht anders: Aber jeder muss selbst wissen, ob er in so einem System unten anfangen will. Da, wo er der Gattin im gemeinsamen Haus als Untermieter dient.

Ich war nicht dabei, ich war in Sizilien, das ich im April wirklich empfehlen kann, so blau ist das Meer und so grenzenlos blau ist der Himmel übe dem Hochzeitspaar, das hier letzte Woche vor dem Normannenschloss ausgelassen feierte. Jedenfalls, vielleicht stellte die T. die Frage nach der Miete ausgerechnet nach einem Tag, an dem der von ihr gewünschte Wasserhahn um Ver****** nicht in den von ihr gewünschten Marmortrog passen wollte. Oder dem Gatten waren vielleicht schon vorher gewisse Zweifel gekommen. Oder es wurde ihm schlagartig klar, dass er hier nicht eine Frau, sondern ein ganzes Abhängigkeitssystem mit Frauenfassade heiraten und lieben müsste. Nicht nur jetzt, sondern jedes einzelne Mal, denn natürlich gibt es bei uns auch Systeme, die grosszügig und freigiebig sind. Aber mit der T. hatte der Bräutigam halt eine von den materiell eingestellten Personen erwischt, über die wir sagen: Von den Reichen kann man das Sparen lernen. Und warum sollte man sich ein ganzes Leben etwas antun, das kein Reichtum ist, sondern eine Erwartungshaltung, der zu entsprechen eher schwierig ist?

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Jedenfalls, der Moment war nicht günstig, ein Nein ergab das andere Nein. Eigentlich ist es ja zwangsläufig: Keine Miete, kein gemeinsames Haus, kein gemeinsames Leben, also kann man sich auch die Hochzeit sparen. Und deshalb sieht es jetzt so aus, als könnte ich eigentlich noch lang im schönen Sizilien bleiben.

Ich möchte den Vorgang natürlich öffentlich nicht bewerten, denn es ist nicht schön und ausserdem wird es jetzt, mit dem liegengebliebenen Haus, auch noch teurer als manche Scheidung, und das würde mir sicher viel Zorn einbringen. Allerdings: Ich würde so etwas nicht verlangen. Generell bin ich der Meinung, dass man bei der Heirat über Klassengrenzen hinweg dem Partner eine Art Trainingsgegner sein darf. Es ist vermutlich leichter, die Rituale an jemandem zu lernen, den man liebt, als dass man nach der Hochzeit vergleichsweise unvermittelt soziale Gegensätze ausbaden muss. Idealerweise legt man sich vorher für die Tanten ein paar arrangierte Ehen, Internetbeziehungen mit 100%-Deckung und Vernunftbeziehungen unter Gleichen zurecht, die krachend gescheitert sind, um den Clans zu verdeutlichen, dass erst das Unbezahlbare kommen muss, damit man über Preise reden kann. Oder man macht es wie die T., und hat jetzt wieder alle Optionen offen, ausser vielleicht ihrem Ex, mir, und all jenen, denen diese Geschichte gerade unter dem Siegel der äussersten Verschwiegenheit zugetragen wird. Wie gsagt: Wir alle zahlen den Preis.

Wiedersehen mit dem Gattopardo

23 martedì Apr 2013

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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In Sicilia non importa far male o far bene.

Die Stadt Palma de Montechiaro ist, das kann man ohne Übertreibung sagen, ein Ort, den die Musen in einem Anfall von Orgienwunsch an die Wand gedruckt, die Kleider vom Leib gerissen und dann so lange geküsst haben, bis da ein riesiger Knutschfleck war. Sicher, die gut 100 Kilometer entfernten spätbarocken Städte des Val di Noto sind ein Weltkulturerbe, aber deren Bau beginnt erst aus der mit dem grossen Erdbeben von 1693. Palma dagegen ist keine Rekonstruktion aus der Not heraus, sondern eine lustbetonte, frühbarocke Idealstadt, entworfen und gebaut, um den Stadtherren Prestige und einen Herzogtitel einzubringen. 1637 beginnen die Bauarbeiten, zu einer Zeit also, da Mitteleuropa im 30-jährigen Krieg ausblutet, und was man damals hätte alles bauen und erschaffen können, hätte man sich nicht niedergemetzelt – das kann man sich in Palma anschauen. Denn die Stadtherren hatten in einen reichen sizilianischen Clan eingeheiratet, und planten und bauten gleich in grossen Zügen: Kirchen, Paläste, Quartiere, Treppen, breite Strassen, und die ganze Pracht der barocken Epoche.

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Das Adelsgeschlecht, das damals noch schlicht Tomasi hiess, sammelte über die Jahrhunderte durch Heiraten und Titelgeschacher etliche andere Adelstitel ein, so dass ein Familienoberhaupt im 20 Jahrhundert dann formal Don Giuseppe Maria Fabrizio Salvatore Stefano Vittorio Tomasi, Prinz von Lampedusa, Herzog von Palma, Baron von Montechiaro und Barone von Torretta hiess. Bekannter ist er unter dem Namen Giuseppe Tomasi di Lampedusa, vor allem durch den Weltbestseller (und den nachfolgenden Film) Il Gattopardo. In Palma glaubt man fest daran, dass die im Buch beschriebene Region der Sommerfrische nichts anders als dieses Städtchen in der Region Agrigent ist, und deshalb steht sogar auf den Strassenschildern „Palma di Montechiaro – Donnafugata“. Tatsächlich hat der Ort nicht nur das Glück der historischen Bausubstanz, sondern auch den Vorzug, dass viele der alten Gebäude immer noch stehen, und der Eindruck entsprechend historisch wäre. Wenn, ja wenn die handelnden Personen des Ortes wie die Figuren des Buches das Leitmotiv aus Il Gattopardo – Alles muss sich ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist – umgesetzt hätten. Die gute Sache ist: Es steht vieles noch da. Die schlechte Sache ist:

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Es hat sich alles geändert. Und nichts ist geblieben, wie es war. Schon entlang der grandiosen Haupttreppe vom Palazzo Ducale zum Dom sind die Türen und Fenster vernagelt, das einzige Cafe hat dicht gemacht, und alles verfällt seit langen Jahren. Es spricht sehr für die Gründer des Ortes und die Qualität der barocken Architektur, dass die Gebäude trotzdem noch stehen, aber die hohlen Fensterlöcher und die verrammelten Türen sprechen den Hoffnungen, die sich mit der Gründung des Ortes verbanden, Hohn. Unten im Park sitzen die alten Männer und geniessen einen spektakulären Blick auf das Meer: Hinter ihnen kann man keine zwei Schritte ohne eine gewisse Fassungslosigkeit gehen. Kommt der Fussboden im ersten Stock herunter, wird eine Stütze eingezogen und das Untergeschoss geräumt. Will man das Gebäude ohne unerwünschte Besucher verfallen lassen, schraubt man ein Brett vor die Tür. Früher lebten hier noch die Alten, aber die sind tot und Palma selbst bietet wenig Möglichkeiten: Mehr Arbeit gibt es in Licata und Gela, unten am Meer. Und deshalb stürzen die Balkone ab, die schmiedeeisernen Gitter verrosten, und all die Vorurteile, die man im Gattopardo gegen die Moderne hegt, scheinen sich zu bestätigen.

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Bliebe noch der Tourismus, der sich entlang der Küste vom Spätbarock des Val di Noto zu den Tempeln von Agrigent schlänglt. Leider ist die historische Substanz von Palma näher an den klassischen Tempelruinen denn an den herausgeputzten und tourismustauglichen Fassaden von Ragusa. Es ist wie mit dem Leben der Menschen im Gattopardo: Sie alle scheitern an ihren Möglichkeiten, es könnte viel sein, aber am Ende müssen sie sich eingestehen, dass sie gegen die Veränderungen verloren haben. So gesehen passt das real existierende Palma natürlich zum Roman, es schreibt dessen Geschichte konsequent bis zum bitteren Ende der Agonie fort.

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Natürlich, würde man jetzt in einem Kraftakt Palma die Montechiaro neu gründen, ein paar hundert Kunstgeschichtlicher, Restauratoren, spezialisierte Handwerker und Denkmalpfleger in den Ort schicken – dann könnte man auch dem normalen Touristen wieder begreifbar machen, wie so eine Idealstadt des Barock aussieht. Man könnte es mit ein wenig Übertreibung das „Sabbioneta des Südens“ nennen, denn so viele Planstädte dieser Epoche gibt es nicht. Man könnte die entsetzlichen Energiesparlampen aus den Kronleuchtern der Kirchen schrauben und den bunt bemalten Padre Pio aus Gips irgendwo hinstellen, wo er nicht den barocken Raumeindruck belastet. Man bräuchte sehr viel von dem Vermögen, das die Italiener angeblich besitzen sollten, um so etwas zu tun: Aber das ist die Region Agrigent. Die Alten sterben und die Jungen gehen. Und Italien hat andere Probleme als ein paar hundert zerfallende Häuser in einer abgelegenen Region Siziliens. Ausserdem, könnte man zynisch sagen, haben auch Ruinen etwas: Gegenüber auf dem Berg stehen die Reste eines Klosters, und selbst dieses Ensemble ist immer noch eine Sehenswürdigkeit, wenn man davon weiss. Andenken kann man hier nicht kaufen, aber es liegen genug floral geformte Trümmer auf den Strassen herum.

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Die barocke Stadt hat in ihrer Zeit ihren Zweck erfüllt und den Ruhm der Familie gemehrt. Dass es jetzt so anders ist, ist schlimm, aber kein Grund zur Überheblichkeit. Die Welt ist voll von Palma die Montechiaros, die die Veränderungen nicht schnell genug mitmachten, oder nicht radikal genug, und zu Tode gehetzt wurden. Wenn deutsche Politiker heute in Frankreich und Italien mehr Reformen anmahnen, damit diese Länder den deutschen Vorstellungen mehr entsprechen, und hierzulande den Menschen die Illusion vorgegaukelt wird, es müsse sich alles ändern, damit der Wohlstand bleiben kann, wie er war – dann ist Palma zwar immer noch verrottet und vergessen. Aber gleichzeitig die Zukunft von Griechenland, Zypern, Italien, Spanien, den 75% ärmeren Deutschen und überhaupt allen, die nicht den deutschen Vorstellungen und Befehlen entsprechen. Man kann an der sizilianischen Südküste die Vergangenheit der europäischen Hochkultur besichtigen, die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte, und das Kommende. Nur werden die Opelruinen, die Druckereien, die AKWs und die Kadaver der spanischen Hochhäuser nicht so hübsch sein. Sie werden hässlich und teuer weggeräumt werden, und nicht Jahrhunderte trotz allem in Würde überstehen und wie Palma aus all den halboffenen Türen flüstern, dass man es nicht nur retten könnte. Sondern dass es sich auch wirklich lohnen würde.

Über Verstorbene nichts ausser gutes Gelächter

18 giovedì Apr 2013

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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Die Aufkündigung eines Übereinkommens, das nie eines gewesen ist

Draussen funkelte die Sonne über den Dächern von Meran, der wolkenlose Himmel dehnte sich von Bergeshöhen zu lieblichen Tälern, drinnen im Hotel gab es kein Internet, sondern nur ein TV-Gerät, und vor dem lag ich und lachte. Ich habe es ja nicht so mit der Glotze, für mich ist diese Form der Unterhaltung stets aufs Neue eine schockierende Erfahrung, aber an diesem Morgen lachte ich. Im Fernseher bekundete nämlich eine Vielzahl von hollywoodesk-älplerisch bekleideten Schluchtenbewohnern, wie schlecht es ihnen jetzt ginge, da ihr Idol, ihr Held, ihr Märtyrer Jörg Haider alkoholisiert in einen Betonpfeiler gefahren sei. Zum Frühstück nahm ich die beste schwarzbraunwiediehasel-Nusstorte meines Lebens und überhaupt habe ich selten so einen schönen Tag gehabt.

Das tut man natürlich nicht, sagt die allgemeine Lehre, der gute Christenmensch hält sich an die Regel, über Verstorbene sage man nichts ausser Gutes: De mortuis nil nisi bonum dicendum est. Der kleine Lateiner weiss, das ist ein Imperativ, und so könnte man vielleicht an eine lange Tradition glauben, der man sich besser unterordne. Es macht den Eindruck, als hätte sich Generation um Generation des guten Zusammenlebens und der Vergebung befleissigt, die Zähne zusammengebissen und der verstorbenen Person, so mies und hinterfotzig sie auch gewesen sein mag, mit diesem Verhalten nach dem Tod gezeigt, dass sie selbst eben nicht so sind, und Anstand haben. Die Sache hat nur einen kleinen Schönheitsfehler: Sie war ganz anders, in unserer christlichen Gesellschaft.

Das liegt allein schon daran, dass das Werk, in dem sich dieser Spruch in die Gegenwart gerettet hat, im Mittelalter vollkommen vergessen war. Angeblich stammt der Spruch vom Spartaner Chilon, der in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. lebte. Erst 800 Jahre später wurde diese Aussage dann von Diogenes Laertius in einem Sammelwerk über das Leben und die Lehren der antiken Philosophen festgehalten. Natürlich kann man nun sagen, dass so eine Empfehlung in der griechischen Antike nicht gar so schwer wie im christlichen Moralgebäude umzusetzen ist; Sklavenhaltung, andere Städte niederbrennen, deren Bewohner in die Sklaverei verkaufen, das alles galt den Griechen mehr als normales Geschäft denn als fragwürdig. Wer die Ilias und ihre Schlächtereien kennt, dem dürfte bekannt sein, dass es erst problematisch wird, wenn man einen Sohn vor den Augen des Vaters umgebracht, den Leichnam geschändet und um die Stadt geschleift hat. Alles andere, Mord, Vergewaltigung, Angriffskriege aus niedersten Beweggründen, machte damals keinen Prozess in Den Haag oder irgendeine Form von gesellschaftlicher Ächtung, sondern einen guten Ruf von der Antike bis heute. Über Verstorbene nur Gutes? Gar nicht schwer, wenn es kaum Schlechtes gibt.

Ein schönes Beispiel für diese Haltung ist der Tyrann Gelon, der in Sizilien lebte: Er liess sich als Herr von Gela von den vertriebenen Oligarchen aus Syracus bezahlen, um sie in ihrer Heimat wieder an die Macht zu putschen. Dort machte er sich selbst zu ihrem Tyrannen und befriedete sie, indem er ihre Gegner durch unschönste Terrormassnahmen ausschaltete, und den Oligarchen wichtige Posten gab. In anderen Städten, die er eroberte, verkaufte er die armen griechischen Schichten zur Finanzierung seiner Söldnerheere in die Sklaverei. Ausdrücklich hasste er alle, die nicht seinen sozialen Vorstellungen entsprachen. Hat man die politische Opposition erst mal in ihrem Blut ertränkt und deren Frauen zum persönlichen Vergnügen der Reichen verkauft, und alle anderen möglichen Störer umgesiedelt – heute würde man sagen, nach Klassenzugehörigkeit gesäubert – und unterdrückt man sie mit gekauften Halsabschneidern, ist so ein System stabil, viel stabiler als unser Bankensystem. Aber als dann 150 Jahre später die Demokratie in Syracus eingeführt werden sollte, wollten die Bürger dennoch das Standbild des Gelon behalten: Hatte er in einem Krieg doch das gesamte Heer der Karthager massakriert. De mortuis nil nisi bonum dicendum est. So ging das damals.

Das Christentum hat erst mal vergessen, wer Chilon von Sparta und Diogenes Laertius gewesen sein sollen. Sagte man im Mittelalter „De Mortibus“, hätte der Gebildete eher an den Bestseller dieser Tage gedacht, der ebenfalls so begann: De mortibus persecutorum (Von den Todesarten der Verfolger), geschrieben vom Kirchenvater Lactantius im frühen 4. Jahrhundert. Das Buch ist eine wüste Propagandaschrift gegen römische Herrscher, die wirklich oder nur angeblich durch brutale Christenverfolgungen aufgefallen waren, und deren wenig angenehme Todesarten der Autor schaurigst ausgestaltete und erlog. „Splatter“ würde man diese Gattung heute nennen, niedrig, billig, schnell hingeschmiert, wahrlich kein Meisterwerk und selbst unter den reichlich dogmatischen Schriften des Lactantius ein böser Ausreisser – aber eben auch heiß begehrt bis in die Neuzeit als moralische Gruselschrift: So ergeht es jenen, die nicht nach christlichen Vorstellungen leben. Alles Schlechte über die Toten.

Das Christentum nämlich war eine Religion, die bis in die Neuzeit hinein unter anderen Prämissen als die Antike mit ihrem freudlosen Schattenreich der Seelen funktionierte: Die Toten sollten gar nicht allzu gut aussehen, ganz im Gegenteil, denn das Seelenheil im Jenseits war nur durch kirchenkonformes Leben im Diesseits und jede Menge Qualen im Fegefeuer, wenn überhaupt, zu erreichen. Das Christentum braucht dringend die Vorstellung, dass der Mensch sich etwas zuschulden hat kommen lassen: So verkauft man Ablässe, so kassiert man Spenden und Einnahmen für Seelmessen, so hält man die Leute bei der Stange und verwandelt Sünden in Profite. Und deshalb achtete die Kirche auch im Mittelalter darauf, die ihres Erachtens Richtigen in den Ruf der Heiligkeit zu stellen, und die anderen auch nach dem Tod noch zu verfolgen, schlecht zu schreiben und auch nichts dagegen zu haben, wenn man den ein oder anderen auch nach dem Tod noch einmal aus dem Grab riss und vierteilte. Verbrannte. Den Kopf zur Abschreckung an ein Tor nagelte. Sicher, das waren Ausnahmen, aber generell begann mit dem Tod die wenig erbauliche Abrechnung des Jenseits, die nur die Gnade der Kirche verkürzen konnte. Cuncta stricte discusurus, heisst es im Requiem: Nichts könnte weniger unserer abendländisch-christlichen Kultur, so man sich unbedingt darauf berufen wollte, daher weniger entsprechen als lässiges „De mortuis nil nisi bonum dicendum est“.

Und so überrascht es auch nicht, dass nicht nur die Grossen mit den Kleinen und ihrem Andenken unschön verfuhren, sondern auch die Armen gar nicht selten den Tod der Reichen feierten. Als der Sonnenkönig Ludwig XIV. unter Hinterlassung eines kriegsbedingten Schuldenbergs – damals konnte man nicht wie Gelon mal eben Menschen in die Sklaverei verkaufen – letztlich starb, berichten die Chronisten von ausgelassenen Feierlichkeiten seiner ausgepressten Untertanen. Mit Spott, Geigenspiel und Tanz soll man die Feierlichkeiten gehörig gestört haben. Man hat das damals wohl so hingenommen, denn das Volk wusste nichts von Sprüchen wie „De mortuis nil nisi bonum dicendum est“. Man hatte die Schrift des Diogenes Laertius zwar im 15. Jahrhundert wiederentdeckt und ins Lateinische übersetzt. Aber es dauerte beim gemeinen Volk und auch beim gemeinen Adel ein wenig länger, bis sich diese Weisheit allgemein durchsetzte.

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Dieses allgemeine Gefühl, dass man Pietät zu wahren hat, und eine zynische Machtpolitikerin, die ihr Volk in die Leibeigenschaft an die Banksteroligarchen und Privatisierer verkaufte, nach dem Tod nicht mit ihren Missetaten konfrontieren darf, dass man nicht den Champagner öffnen und auf ihrem Grab tanzen möchte, dass man zu schweigen hat und nicht feiern darf, und dass ein Sender ein Lied nicht spielen darf, weil Pietät für so eine Person vor die Freiheit der Meinung und des Ausdrucks geht: Das gibt es. Immer wieder. In Haiders Kärnten, in Nordkorea musste man weinen, unter Gelon in Sizilien war auch Ruhe, im wilhelminischen Deutschland und in Metternichs Herrschaftsbereich, in Stalins Russland und anderen Systemen, die gerne moralische Vorwände finden, um die Freiheit des Menschen einzuschränken. Herrscher leben und Herrscher sterben, da ist nichts dabei, aber die Freiheit musste von Gelon bis in die Gegenwart immer wieder neu erkämpft werden. Und man kann zurecht fragen, was eine Freiheit eigentlich wert ist, wenn man für jene, die achtlos über Leichen gingen, voller Achtung zu schweigen hat, wenn sie als Leiche vorbeigekarrt werden.

Übrigens, „De mortuis nil nisi bonum dicendum est“-Chilon von Sparta war nicht nur Philosph, sondern auch derjenige Diktator, der aus seiner Stadt eine komplett durchorganisierte Militärdiktatur gemacht hat, in der die rechtlosen Heloten das Essen für die Kriegerkaste heranzuschaffen hatten. Man überlege sich also gut, wer hier pietätvoll wem nach dem Mund zu reden vorgibt. Nicht dass unsere Ahnen in 2600 Jahren vielleicht mal Kim Jong Il oder Pol Pot zitieren, wenn sie ihre Diktatoren und Oligarchen ungestört zu Grabe tragen möchten.

Spätmittelalte Männer träumen von alten Reichen

14 domenica Apr 2013

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

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Libenter homines id quod volunt credunt.
Gaius Julius Cäsar

Eines Tages sass ich, wie immer eigentlich, in der Bar Venezia in Mantua, und zufälligerweise kam die C. vorbei, die in einem Laden arbeitet, über den ich einmal geschrieben habe. Sie spricht gut englisch und ich phantastisch haptisch-italienisch, und so plauderten wir etwas, wie über den örtlichen Repräsentanten der Lega Nord, den ich am Vortag beinahe über den Haufen gefahren hätte. Da ist nämlich in Citadella Mantova so eine leicht illegale, aber sehr praktische Wendemöglichkeit, und die nehme ich gern mit Schwung. Nur war am Tag davor über den durchgezogenen Linien auch noch überraschenderweise der Stand der Lega Nord errichtet, und so schnell kann das gehen, aber immerhin, es wäre das Ende mit einer Barchetta aus Norditalien gewesen, und kein Alfasud. Das, sagte die C., hätte ihrer Mama aber gar nicht gefallen, denn die wählt Lega Nord und glaubt auch an Padanien und daran, dass sie alle Kelten sind.

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Nun ist die C. von der Art, dass sie auch Attila der Hunnenkönig nach der Geschlechtsumwandlung sein könnte, und sie würde mir noch immer gefallen. Bei C. sehe ich Welt rosa und würde sie mir sagen, der Himmel ist grün, ich würde das auch hier genau so behaupten. Abetr keltisch? Mama C. würde durchdrehen, wenn sie sich nach Keltenart tätowieren lassen würde. Tatsächlich wäre kaum jemand des Keltentums so wenig verdächtig wie die Mama der C., jetzt mal vulgärgenetisch betrachtet, und auch die C. würde im bayerischen Stammesherzog durch den italienischen Einschlag auffallen. Nebenbei, die Kelten verschwinden so im 1. Jahrhundert von der Landkarte, auch in Bayern lassen sie stark nach, und danach kommt Völkerwanderung. Langabarden, Goten und dazwischen sogar ein paar Österreicher. Die sog. „Ethnogenese“ ist in der Archäöologie ein weites Feld, in dem es lustig zugeht, und gerade Oberitalien ist jetzt nicht ganz schlecht gemischt. Es ist also irgendwie nicht wirklich schlüssig, wie die Lega Nord davon auszugehen, dass es mal eine Art Region, Land oder Gebilde wie Padanien gegeben hat, das man mit einer Republica del Nord wieder aufleben lassen könnte. Denn eigentlich heisst sie ja Lega Nord per l’indipendenza della Padania.

Aber es ist Italien, und da sagen einem alle keltischen Stammesangehörigen natürlich, dass es, wenn Padanien schon nicht wahr ist, dann wenigstens gut erfunden sein soll. Das Padanienfest der Lega ist lange Jahre die lustige Seite des Versuches gewesen, einen Keil in die italienische Gesellschaft zu treiben. Damit konnte man behaupten, man sei schon immer anders gewesen, besser, stärker, blonder, genetisch anders, und nun werde man von der Diebin Rom ausgeplündert, zugunsten der nicht so ganz keltischen Leute im Süden des Landes, die nichts arbeiten wollen und deren Mafia immer noch so rückständig ist, dass sie in Drogen und in Müll macht, statt wie ehrenwerte Leute im Norden mit lautlosen Banken, Bauwirtschaft, Logen und Medien die Milliarden schiebt. Wer einmal die Lega in ihren grünen Hemden paramilitärisch aufmarschieren sah, lachte, und freute sich, dass es so etwas bei uns zum Glück nicht gibt, denn die CSU war allenfalls eine biedere Kopie dessen, was die Lega in Sachen Landeszerteilung wirklich plante.

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Vor einem Jahr kam die Lega dann auch ins Schleudern, weil ausgerechnet diese Partei der vermögenden, mittelalten Sauberkelten eine problematische Parteienfinanzierung und andere Skandale aufwies, die man sonst nur der Diebin Rom nachsagte. Bei Cäsers De bello gallico hätte man auch nachlesen können, dass die Kelten jetzt eher flexible Moralbegriffe kannten, und obendrein auch eine Religion, die gar nichts mit dem christlichen Abendland zu tun hat, auf das sich die Lega so gerne beruft, wenn andere Völker sich an den Kelten ein Beispiel nehmen und ebenfalls nach Italien einwandern. Dass diese eher reichen, patriarchalisch orientierten, mittelalten und tonangebenden Männer dann statt der Nationalhymne lieber den Gefangenenchor aus Verdis Nabucco singen, ist nur eine weitere Absurdität dieser, nun ja, sagen wir mal, Bewegung, die sich dann noch hinstellt und von sich behauptet, sie wäre nicht links oder rechts, sondern sachorientiert. Was dem Umstand keinen Abbruch tut, dass die ideologischen Grundlagen von der uralten, sog. Neuen Rechten kamen.

Die Lega, das ist so eine der Sachen in Italien, die vergisst man, sobald man das Land verlassen hat, wie die scheusslichen Industriegebiete, Berlusconi, verrostete Stromleitungen, die Fabrikruinen, die Armut der alten Leute, die Tristesse all dessen, was vor der Schönheit des Landes noch einmal besonders gemein, vulgär und unpassend erscheint. Dieser Filter für all die Bossis und Finis, für diese verhuzelten Männlein, die alle so aussehen, als würden sie am liebsten immer noch spitze Schlangenlederschuhe und Hosen tragen, die im Schritt zu eng sind, ist nötig für die Italiensehnsucht, und zum Glück kann ich sagen: Er ist nicht mehr so wichtig, wie vor 10 Jahren. Die Lega ist eine italienische Partei wie jede andere: Man würde dafür nicht nach Italien fahren, und man ist froh, dass einen so etwas daheim nicht erwartet.

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Ich überlege schon den ganzen Tag, wo eigentlich der Unterschied zwischen dem legendären Padanien und den angeblich so grandios-legendären Deutschland der D-Mark unter Helmut Kohl sein sollen. Denn so wenig wie Mama C. Keltin ist, so wenig waren die Jahre unter Kohl in etwas, das in meiner Erinnerung und für viele andere Jüngere allzu viel Sentimentalität verdient hätte. Ich mein, nicht umsonst sieht man diese Bilder, Schlagzeilen, irrwitzigen Unterfangen von damals und sagt sich: Das könnte man heute alles nicht mehr machen. Ein Strauss wäre undenkbar. Ein Rhein-Main-Donaukanal wäre undenkbar. Neue Atomkraftwerke, Rüstungswettlauf, der allgegenwärtige, dumpfe Gestank der Reaktion der geistig moralischen Wende… dass diese alte BRD ein rundum netter, guter und lebenswerter Staat war, können allenfalls die Profiteure behaupten, spätmittelalte, eher patriarchalisch veranlagte Menschen, die sich mit der Moderne nicht zurecht finden und gern ihren eigenen spätmittelalten, patriarchalischen Weg mit hohen Rentenbezügen gehen wollen, mit all den angeblich so tugend- und arbeitsamen Mittelständlern und Professoren und Honoratioren eines Landes, das nach ihrem Bestreben loskommen soll von der Räuberin Brüssel.

Die Zeiten, da die Politik noch eine gefällige Komponente haben musste, sind natürlich lang vorbei, und sieht man den Steinbrück oder die Merkel, so ist da nicht wirklich ein herber Absturz Alternativenlega für Kohls Deutschland, aber im Ernst: Die politische Zukunft des Landes habe ich mir, so privat, anders als einen Typus vorgestellt, der mir in Italien todsicher mit Freizeitsandalen ins Bild latschen würde, und auch nicht als einen, der meint mir erzählen zu können, wie das richtige Deutschland auszusehen hat: So, wie sich halt der typische Legamittelaltling das richtige Padanien vorstellt. Als eine Ort der kulturellen Hegemonie des gesunden Menschenverstandes. Ich habe die 8oer Jahre in Bayern überlebt, ich weiss schon, warum ich Italien immer als Ort der Befreiung betrachtet habe. Irgendwo kichert hämisch jemand unter dem fetten Gras im Bärental, heute Nacht träume ich hoffentlich nicht von Ignaz Kiechle, Friedrich Zimmermann, Manfred Kanther und anderen führenden Figuren Deutsch-Padaniens, die zusammen Wurst in Kartoffelsuppe essen und mir aus dem neuen Spiegel – Thema passend, wie die Südeuropäer ihren Reichtum verstecken – vorlesen, und dann fordern sie alle zusammen so etwas wie Renovatio Imperii.

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Das wäre ein schlechter Start. Denn morgen fliege ich ans Südende von Europa, in die Region zwischen Syracus und Agrigent, gleich gegenüber von Afrika, wo es natürlich keine Kelten gibt, in den Schatten einer normannischen Burg, und dann werde ich mir griechische Tempel, italienischen Barock, römische Bikinimädchen und byzantinische Mosaike anschauen. Ich mag dieses Europa lieber als zu einfache Erklärungen spätmittelalter Männer, die sich immer benachteiligt fühlen, weil sie es auch sind: Das Leben und die Liebe küssen keine bitteren Kleingeister, weder in Bad Nauheim, noch im Parlament, weder in Mantua noch in Rom. Natürlich wird es dafür Stimmen geben. Endlich wieder gesunder Menschenverstand, keine Vielschichtigkeit mehr, keine komplexen Überlegungen, ob wir nicht vielleicht auch Schuld sind, Papa sagt jetzt mal was Sache ist. Immer das gleiche von Rostock bis Syracus. Ich werde mich an den Strand setzen und ihnen den – Rücken zudrehen.

Diese gedämpften, jungen Dinger und ihr Überziehungskredit

11 giovedì Apr 2013

Posted by Don Alphonso in Uncategorized

≈ 318 commenti

Wenn Sie denken: Der hat doch sicher einen fiesen Text über die Thatcher geschrieben und ist jetzt nur zu feige, um den zu bringen – dann haben Sie leider recht.

Früher waren die jungen Leute beim Studieren auch nicht vermögender als heute; im Gegenteil, man blieb meist an der Uni, an der man begann, in der Stube, die man gemietet hatte, und für Flausen wie drei Studiengangwechsel und jedes Jahr eine neue internationale Station war einfach kein Geld da. Man füllte billige Ordner mit Papier, man rief mit dem Festnetz an und war froh, nicht zu den Armen zu gehören, die jeden Tag von ihren Kinderzimmern aus pendeln zu müssen. Zum See fuhr man mit dem Rad oder der S-Bahn oder, aber das war ganz selten, mit einem Käfer Cabrio, zweifarbig und wie ein Aquarium, wenn es regnete. Trotzdem sind die Geschichten, die man so vom Studenten-Allotria vergangener Tage hört, immer recht erbaulich. Die Seidenstrumpfhosen mögen nur gemalt gewesen sein, und die Zigarettenspitzen halfen, mit einer Zigarette pseudorauchend durch den Tag zu kommen: Aber lustig ist es gewesen. Und danach begann das Leben, das eigene Einkommen, und alles wurde gut.

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Mir ist das in den Sinn gekommen, weil sich so ein guter, satter und erfreulicher Kreis der Generationen gerade in mir schliessen wollte: Solchen Familien geht es nämlich irgendwann zu gut, dann ziehen sie ihr Kinder aseptisch rein und fern alles Schmutzpartikel auf, woraufhin die natürlich allergisch werden, und dann bekommen sie auch noch einen allergischen Schock vom falsch dosierten Waschmittel. Ja so kann es gehen. Daraufhin bekommen sie Cortison, auf das sie – hoppla! – nun ebenfalls allergisch reagieren, und obendrein von Spray eine Rachen- und Mandelentzündung bekommen. Kann das möglich sein, fragt man den Arzt entsetzt, und der sagt: Ja. Das gibt es. Und wenn die Lunge zu ist, die Bronchien röcheln, das Schlucken nur dann wie Feuer schmerzt, wenn das Wasser genau richtig lauwarm ist und nicht wie Schwefelsäure, sollte es etwa zu kalt oder zu heiß sein, und sich die Entzündung dann das auch noch im ganzen Kopf ausbreiten, dann denkt man so bei sich: Naja, an irgendwas muss unsereins auch aussterben, und wenn es schon dank der familiären Zuwendungen nicht der Rentenbetrug oder ein Leben ohne Seezugang oder Bergblick ist, dann halt Waschmittel und Cortison.

Wie man weiss, hat sich das Schicksal mit einem lauten Ding Dong anders und für eine andere entschieden, und mir ging es eigentlich zu gut zum Sterben, denn ich hatte nebenbei viel warme Torte. Und „Hunnen und Rebellen“, die Autobiographie von Jessica Mitford. Eine Schwester namens Nancy war die berühmte Autorin, zwei andere, Diana und Unity, waren berüchtigte Nazianhängerinnen, und Jessica war die Kommunistin (und obendrein das Vorbild für die kleine Schwester von Sebastian Flyte in Evelyn Waughs „Brideshead revisited“). Das Buch, bei Berenberg erschienen, ist ein famoser Spass, und ich kann es wirklich nur empfehlen, beim stationären Buchhandel, beim Internetversand wünsche ich eine Cortisonallergie dass es kra. Diese ganze Clique von jungen, sorglosen, vermögenden, leicht schrägen und enorm talentierten Leuten hiess damals „bright young things“. Und man weiss, wie sie lebten: Finanziell von den Familien kurz gehalten, sorglos am Monatsanfang und schlank am Ende, ohne Credit, aber so lustig, wie es eben ging, weil der Ernst des Lebens noch kommen würde, und die Freiheit draussen in der Nacht war, oder beim Wachteleieressen in der Landschaft vor Oxford. Auch die Wachteleier hatte Frau Mama geschickt, und als Nancy Mitford – damals schon bekannte Autorin – doch einmal ausreissen wollte, kam sie bald voller Reue zurück: Ohne ihre Nanny war sie nach zwei Wochen knietief in der ungewaschenen Kleidung gestanden.

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Literarisch sind solche Zwangsbeziehungen natürlich ein Glücksfall, denn damit lässt sich jeder Generationenkonflikt, jedes Treffen von Personen, jeder Streit und jede schlimme Notlüge ganz einfach erklären: Sobald das Geld weg ist, muss man sich wieder treffen, reden, speisen, in den Gärten sitzen und reden; wie im richtigen Leben verdickt sich dann die Handlung, und kein armer Dichter muss nach Ausreden suchen, warum ausgerechnet jetzt Tante P. mit dem Amerikaner im Schlepptau auftaucht. Jeder völlig absurde Zufall lässt sich konstruieren, jede Bekanntschaft kann erklärt werden, jede alte Geschichte kann plötzlich zur Sprache kommen, und zwar genau dann, wenn man sie für die Handlung braucht. Und vor allem weiss doch jeder, wie das ist, wenn man pleite heimfährt und überlegt, was man alles plündern muss, um bis zum nächsten Ersten durchzukommen, und welche Studienfortschritte, die man das letzte mal erfunden hat, jetzt weiterdichtet. So werden Bücher geistreich und voller Esprit und grotesker Gestalten, so entstehen Clans und Geschichten, und der Leser wandert mit dem Helden mal hinein und mal hinaus in die weite Welt, bis das Materielle zur Heimkehr zwingt.

Heute wäre so etwas vollkommen unrealistisch, denn mit dem Geld der Eltern kommt auch der Überziehungskredit und die Kreditkarte, und damit ist der Freiraum sehr viel grösser, wie auch der Abstand zur Familie enorm gewachsen ist. Aufgrund der Entfernung ist man nicht mehr so oft daheim, Telefon reicht, und aufgrund der finanziellen Flexibilität ist es auch nicht wichtig. Es sind doch nur ein paar hundert Euro Dispo, bald ist wieder der Erste. Und bis zu dem Tag, da man sich vor dem Geldautomaten fürchtet, vergehen schon gut zwei Jahre, denn der Weg in die Hölle ist lang und mit vielen Rückzahlungsvorsätzen und Caipigläsern gepflastert. So, wie früher alle nach drei Wochen daheim den Kühlschrank ausräumten, reduzieren jetzt alle ab dem dritten Wochenende die Ausgaben, und am vierten Wochenende sind die Pfandflaschen dran und das alte Modem wandert zu Ebay. Jetzt nach Hause wäre ein Alptraum; Studienerfolge erfinden ist ja noch lustig, aber was sagt man, wenn die Eltern fürsorglich fragen, ob man denn mit dem Geld auskommt? Die Wahrheit, dass man seit einem Jahr von den Zinsen aufgefressen wird und das Geld von der Tante K. auch restlos weg ist? Oder lügt man tapfer Lebensbeherrschung, die nicht da ist? Oder findet man einen Mittelweg mit zusätzlichen Ausgaben, für die man Geld braucht, das dann in die Tilgung gehen soll, aber nur soweit es nach dem nächsten Wochenende noch da ist? Schliesslich will man doch auch mal wieder feiern, die Leute reden ja schon, dass man nur noch Geschnorrte raucht und ein Bier pro Abend trinkt. Dispokredit ist nicht nur kein Geld, sondern auch keine Herzensbildung.

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Und so bestimmen nicht mehr die Eltern, in welchem Umfang sie welche Geschichten glauben möchten, sondern die Kundenberater der Kreditinstitute. Sie entscheiden, wie die Geschichten unter welchen Auflagen weitergehen, und natürlich haben die Dramen auch Vorteile: Es ist vergleichsweise anonym, man kann sich lange, sehr lange mit einem geschlossenen Briefkasten beruhigen, und bis es in Deutschland unerträglich, wirklich unerträglich wird, muss schon recht viel passieren. Das System will ja weiterhin keine Geständnisse, sondern genau so viel Luft lassen, dass horrende Zinsen bezahlt werden können. Keine Generalbeichte ist nötig, keine Frage, warum man denn nichts gesagt habe, muss gehört werden: Man zahlt die Zinsen nicht nur auf die Schulden, sondern auch auf die Befreiung vom Zwang, einer Familie Rechenschaft ablegen zu müssen. Und insgesamt ist es, wenn ich das den Blogs diverser Berliner richtig entnehme, immer noch angenehmer, als eine langwierige Erklärung, warum das alles schon seit Jahren schief gelaufen ist. So vermeidet man natürlich Konflikte. Und so fad ist dann auch diese Verzweiflung.

Dabei darf man den Familiengeschichten meistens durchaus entnehmen, dass Eltern mit einem gewissen Schuldenstand rechnen und obendrein vermutlich lieber einmal die Kinder richtig entschulden würden, als all die Folgen auf Jahre weiter zu finanzieren. Denn während so eine Apanage ein schwindender Besitz ist, der einen aber mobil und wendig hält, sind Schulden etwas, das jede Entscheidung erschweren. Am Ende des Monats kann man einfach nicht zu einem Vorstellungsgespräch durch das Land reisen, und am Anfang des Monats muss man Angst haben, dass die Firma die Kosten zu langsam erstattet. Wird die Wohnung zu teuer, muss die nächste billiger werden, und die Kaution darf auch nicht mehr kosten. Das Dispolimit ist dann das Limit des gesamten Lebens, und sorgt so für noch ein wenig mehr Entfremdung, die dann wiederum im Internet durch Klagen unter Gleichangespannten kompensiert wird. Wenn am Ende die Frage, ob man den Umzugswagen rechtzeitig zurückbringt, entscheidet, ob man durchkommt oder ist, ist nur noch für die Betrachter aus der Ferne und in intakten Familien die Frage offensichtlich: Was hat das noch mit bright young things zu tun?

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Nichts. Es ist wie so oft, die Moderne klingt mit ihren Möglichkeiten viel besser als der Zwangsurlaub daheim und die dicken Tantenküsse, aber die Freiheit hat nicht nur ihren Preis, sondern auch ihre Zinsen und Zinseszinsen. So feiert man sich in ein Umfeld, in dem es allen schlecht geht, so schreibt man Romanentwürfe über Verlierer, so verschwindet die echte Familie mit den alten Möglichkeiten, und irgendwann, wenn andere längst funkelten und leuchteten, fallen sie, mit der Bierflasche in der Hand, aus dem Club. Nicht fallen lassen! Das sind als Pfand zwei Schrippen und vielleicht genug Kohlehydrate bis zur nächsten Überweisung. Aber so ist das nun mal mit der Ironie: Den einen bringt das Waschmittel um, und der andere versteht nicht, dass der alte, enge Weg an der Familie eigentlich gar nicht so schlecht war. Man kann sich natürlich auch über unseren niedrigen Vermögensmedian in Deutschland erregen, oder über die Methoden der Banken und ihr Verständnis von Menschen:

Aber diese Literatur, diese junge, deutsche, die dabei herauskommt, die ist wirklich schlimm. Das Dispolimit ist kein gutes Lektorat, man merkt es immer wieder. Zum Glück kann man Waugh und die Mitfords öfters lesen.

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Initiiert, mitausgeheckt, eingetütet und leider auch manchmal durch meine halsstarrige Art erduldet von Frank Schirrmacher

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