We’re going on a holiday now
Gonna take a villa, a small chalet
Costa del Magnifico
Yo, cost of living is so low
Dire Straits, Twisting by the pool, 1982

Das Schwimmbecken der H., stets durch das weit geöffnete Tor gut sichtbar, war damals eine Art soziale Einrichtung. Es gab zwar ein weiteres bei der Frau P gleich nebenan – aber das war nur fünf Meter lang, lag im Keller, und ausserdem kam eines Tages die Flut jener Donau, an der unsere kleine, dumme Stadt liegt, und das Grundwasser drückte aus dem sumpfigen Boden empor und sprengte die schönen, blauen Kacheln von den Wänden. So ist das Schicksal: Die K. ein paar Häuser weiter hatten lieber in einen Atombunker investiert, für einen Krieg, der nie kam, und bei der sorglosen Frau P. kam dafür die Flut. Danach hat sie den Pool nicht mehr in Betrieb genommen.

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Die H. jedenfalls hatten einen ganz normalen, nur im Sommer nutzbaren Pool. Die H.s hätten natürlich auch die 500 Meter zum nächsten Weiher gehen können, oder die anderthalb Kilometer zu jenem Eichenwaldsee, in dessen Nähe man hier zu wohnen hatte, wenn man nicht nur hausen oder vegetieren wollte. Aber der See genügte ihnen nicht, und auch das Schicksal des ersten Poolbesitzers der Stadt, der tragisch endete, hat sie nicht abhalten können: Das Grundstück war einfach zu gross. Da musste ein üppiger Pool hinein. Und so hatten einige Auserwählte aus der näheren, keinesfalls aber ferneren Umgebung ein Badevergnügen südlicher Art, denn auch die Villa der H. hätte durchaus in Florida oder an der Cote d’Azur stehen können. Manche planen ihre Häuser nach den vorhandenen Möglichkeiten, die H.s planten ihre Villa nach dem Pool.

Das Eis kam nicht vom Holzstecken, sondern aus grossen 3-Liter-Dosen und war in bunten Farben marmoriert. Es gab Sirup mit Sprudel und eine monströse Hollywoodschaukel an jeder Stelle, wo man heute einen Strandkorb von Manufaktum erwarten würde. Es gab einen Gärtner für das immergrüne Gras und eine Tochter des Hauses, die vollkommen unprätentiös war, weil sie hinter der vier Meter hohen Hecke wenig von der Welt jenseits des Viertels wusste. Aber eines Tages wurde ihr Vater ins Ausland versetzt, sie ging mit, und die Villa wurde verkauft. Den neuen Besitzern waren, so erfuhr man, die Betriebskosten für den Pool zu hoch, und auch sie wurden älter und zogen letztlich aus. Deshalb sehen Haus und Pool jetzt so aus:

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Man hat ja durchaus versucht, es zu verkaufen. Ein Makler aus München hat sich der Sache angenommen und am Ende nur einen Preis gefordert, für den man in Schwabing noch nicht einmal ein Penthouse und in Berlin keine Favela in Mitte mehr bekommt. In den Augen der potenziellen Käufer war die Villa aber nicht Teil der grossen Geschichte des Aufstiegs dieser Stadt. Sondern fast 400 Quadratmeter umbaute Fläche, von denen 150 allein schon für die unbewohnbare Halle und das Treppenhaus verschwendet wurden. Ausserdem, so haben wir im Zuge des Verkaufs erfahren, ist es heute überhaupt nicht mehr so, dass man die Minimalgrösse eines Hauses nach dem Schlüssel

Anzahl der Personen x (60 m² Wohnraum + 20 m² Abstellfläche + Balkon) = menschenwürdiges Dasein

berechnet. Das sehen manche zwar noch immer so, und wir leben evolutionär im Jahr 2014 und eigentlich gilt dieser Schlüssel nur noch für Zweitwohnsitze – aber auf der anderen Seite haben wir einen Immobilienboom. Auf der anderen Seite der Stadt, an der Autobahn, nimmt man für Neubauten (ohne Pool, mit Aldi, ohne Dreifachgarage aber mit Klimazertifikat) gerne 5000 Euro für den Quadratmeter. So gesehen ist ein niedriger siebenstelliger Betrag für die beste Lage schon ein Schnäppchen, aber Käufer schreckten wohl auch vor dem Sanierungsbedarf zurück. Schliesslich war das Haus schon über 40 Jahre alt und musste, wollte man modernste Ansprüche verwirklichen, umgebaut und saniert werden.

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Was deshalb letztlich geblieben ist, ist die hohe Hecke – von der erwartet man, dass sie auch nach dem Geschmack der zukünftigen Bewohner ist. Sie entspricht dem modernen Wunsch nach Abschottung, Ruhe und Sicherheit in bewegten Zeiten, da niemand mehr das breite Tor den ganzen Tag lang offen stehen lassen würde, damit Eltern hier ihre Kinder abladen. Der Rest wurde vom Käufer, einem lokalen Bauträger, abgerissen. Statt dessen entsteht hier ein „Individualwohnensemble“, das geflissentlich ignoriert, wie schlecht „Individual“ – für den Einzelnen gemacht – mit „Ensemble“ – slumartige Vergesellschaftung ohne echte Privatheit – zusammen passt. Das nennt man heute „vier elegante Doppelhausvillen“, sofern man es über die Lippen bekommt, denn bitt’schön – hat man jemals eine Villa gesehen, die die Hälfte eines Doppelhauses ist? Jeder hier weiss, was eine Villa ist. Nichts gegen Doppelhäuser, sie machen ökologisch Sinn und sind ein probates Mittel gegen Platzverschwendung. Doppelhäuser sind prima! Aber eine Villa war bisher nochmal etwas anderes.

Aber alldieweil und sintemalen – das hier ist die beste Lage. Da kann man den Zuziehenden schlecht in der Werbung erzählen, dass man von ihnen eine Million für eine Doppelhausvillenhälfte will, jene Million, für die sie früher beinahe eine echte Villa bekommen hätten, mit riesigem Garten und Pool und Halle anstelle von Kleingärten und exklusiv-modischer Ausstattung in Räumen, die perfekt geschnitten sein müssen, weil es anders in diesen Hundehüt Villen nicht geht. Das ist das Elend der Gentrifizierung, von dem all die schreihälsigen Pseudogerechten, die in Berlin billlige Mieten und kostenfreie Tempelhöfe und bayerischen Finanzausgleich fordern, nie klagend berichten: Diese Gentrifizierung kostet uns nicht ein paar Blocks, sondern die gebauten Unikate der besseren Kreise. Sie kostet uns den schöneren Teil der Geschichte des Landes, das ehemalige Vorbild einer Epoche, als es noch kein Ed Hardy gab, und sich keine Mutter getrollt fühlte, wenn man dem Kind einen Negerkuss gab. Man reisst diese Villen heute ab und ersetzt sie, wie man in den den 50er Jahren die Villenviertel des Jugendstils entfernt und durch jenes soziale Wohnen ersetzt hat, das heute – zumindest bei uns – höflich und publikationstauglich sozialer Brennpunkt heisst. Man bewirbt das Objekt mit dem Titel „Altes Westviertel“, aber wer so etwas kauft, weiss nicht, was es wirklich bedeutet.

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Es war ein gebauter Raum der Sorglosigkeit und der Zukunftsbejahung. Man mag sich heute wundern, aber man beheizte hier im Frühling die unfertigen Häuser, so dass andere, die hier ebenfalls ihre Vorstellung vom Lebensglück errichteten, es bei der Besichtigung im noch fenster- und türenlosen Gebäude warm hatten – so billig war damals das Heizöl. Es ging aufwärts. Die Kinder sollten noch grössere Pools haben, und in ordentlichen Familien gut aufgehoben sein. Mehr war mehr und weniger war für die anderen. Die anderen bekommen jetzt ihre Gleichmacherei auf dem lügenversilberten Tablett der Werbung, für den hohen Eintrittspreis in diese Gegend, für die kleine Selbsttäuschung, dass die DHH eine Villa sei, und sie jetzt auch angekommen sind. Vielleicht schauen sie auch ein wenig herab auf jene alten Anlagen, die in der Nachbarschaft in grossen, verwachsenen Gärten noch die Stellung gegen die Gegenwart halten, und einer ist sogar so freundlich, jetzt jenes sinnlose, rustikale Türmchen zu restaurieren, das für mich in meiner Jugend immer das Idealbeispiel der Bausünde war – heute bin ich älter. Heute kenne ich eine Zukunft, die ganz anders ist als alles, das man sich vorstellen kann. Und sie ist so schön wie eine „Doppelhausvilla“.

And we can still get information
Reading all about inflation
And you’re never gonna be out of reach
There’s a call-box on the beach

heisst es in „Twisting by the Pool“. Die Zukunft hat dort inzwischen angerufen, ihren Weg durch die Glasfaserkabel gemacht, und wie damals die grosse Donauflut auch hier alle Kacheln von den Wänden gesprengt. Die nächsten Kinder werden eine komplette Überwachungsanlage haben, und man wird sie überall sehr menschlich, egalitär und sozial gleichmachend darum bitten, sich zu engagieren, während im Hintergrund die Bagger weiterziehen und den nächsten alten Bauherrntraum für die neue Kosten-Nutzenrechnung wegschieben. Denn an Geld ist in Zeiten des digitalen Druckens nie ein Mangel, und es sucht sich seine zerstörerischen Wege durch Banken, Kredite und Profite bis zu uns.