HoSSSa! HoSSSa! HoSSSa!

Die russische Hochzeit hat das Fass letztlich zum Überlaufen gebracht.

Aber davor waren schon am Gemüsestand jene beiden, die bei jeder Stierherztomate und jedem Lollo Rosso genau überlegten, wie sie das zubereiten würden, gemeinsam natürlich, Schatz hier und Cherie da, ganz nah zusammen, damit auch jeder die Innigkeit der Beziehung dieser jungen Menschen erkennt, die rein äusserlich so adrett wie all die Parteileute sind, die einem vom Plakat nach der Photoshopbearbeitung anuntoten. Und da war auch der Mann mit dem Maorisymbol auf dem Oberarm und dem Drachen, der sich um sein nacktes, kurz behostes Bein wickelte, der Mann, der auf offener Strasse an seiner Frau besitzergreifend herumfingerte und das ganz offensichtlich für ein angemessenes Benehmen fand. Ich sehe das auch, aber ich ignoriere es. Neben mir jedoch war die I., und Ignorieren ist jetzt nicht gerade eine ihrer Kernqualifikationen.

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Aber da schaute sie nur wenig begeistert. Gleich hinter dem Maoridrachenmann gingen wir in die Strasse zu meinem Jesuitenkolleg hinunter, dem die Kapuziner um 1720 ein noch üppigeres Gebäude vor die Nase setzten, und davor nun stand der M., der sich hier um besondere Anlässe kümmert. Russische Hochzeit, entschuldigte er sich, weil das gemeinhin laut wird und lang dauert, und man als Anwohner bitte nicht die Polizei rufen sollte, wenn es zu einer Schlägerei oder zu “Da sprach der alte Häuptling der Indianer” mit der Lautstärke eines startenden Jets kommt. Da reisen Hunderte an, jammerte der M., und von drinnen dröhnten schon Weisen heraus, die so klangen,wie man sich in Kiew vermutlich Hochzeiten in Hollywood vorstellt. Ich versprach, wie immer keine Klage zu führen, und drängelte mich weiter durch all die Gäste, die draussen rauchten. Manche vor meinem Hoftor, manche auch dahinter, wobei, geraucht haben sie nicht allein und es war insgesamt eine peinliche Situation, denn darf man solchen Leuten sagen, dass sie bitt’schön ihre Freundlichkeiten auf öffentlichem Grund oder auf der Toilette oder hinter Büschen… aber was sagt man, wenn sie sagen, sie müssen dazu leider eine Mauer haben, damit sie auf ihren Absätzen nicht umkippt… natürlich kann man da nichts sagen, also drückten wir uns grusslos vorbei, als hätten wir es nicht gesehen.

Für die I., die jetzt nicht ganz freiwillig Single ist, war das ein Spiessrutenlauf. Denn sie gibt sich nicht so spiessig-neobiedermeierlich wie das Gemüsepaar, sie hat weitaus bessere Manieren daheim und in der Öffentlichkeit als der Drachenmaorimann, und auf ihrer eigenen Hochzeit ging es formal und gesittet zu, und dennoch ist sie wieder Single. Die Vorführung, was alles möglich ist, wenn man sich nur daneben benimmt, tat da natürlich weh. In den Singleköpfen ist stets der Gedanke: Muss das sein? Wieso bin ich allein und die niczt? Besonders schlimm ist es, wenn ein vermeintlicher Prinz aus der Partnerschaftsbörse zur Realität 10 Zentimeter und 20000 Euro Jahreseinkommen dazu erfunden hat, seinen Benimmkurs noch nicht verinnerlichte, und in der Realität wie die männliche Antwort auf das zähnefletschende Etwas aussieht, was laut Wahlplakat eine bayerische Ministerin sein soll. Muss das alles sein?

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Also, das Singledasein natürlich, nicht das pralle Grinsen, das unsereins schon zu oft bei den Münchner Party-E-xzessen unter anderen Rahmenbedingungen gesehen hat. Denn inzwischen ist das Singledasein auf dem Weg, die Norm zu werden, wohingegen die klassische Familie, aus der wir im bayerischen Westviertel alle zu stammen die Ehre haben, auf dem Rückzug ist; momentan herrscht Gleichstand, aber die Familie verliert. Es mag durchaus stimmen, dass wir ein Familienministerium haben, das uns zumeist – wenn es uns durch einen Fehler nicht um Leistungen beschummelt – mit Wohltaten überhäuft, wenn wir erst mal keine Singles mehr sind, eine dauerhafte Partnerschaft mit langfristigen Zielen und am Ende sogar noch Kinder haben. Aber das sind 3 Schritte weiter, als der normale Single zu kommen pflegt. Dafür gibt es viele Gründe, die Anonymität der grossen Städte, der Rückgang der Zwangsheiraten in bayerischen Gemeinden aufgrund der Einführung der Pille, die nachgerade erzwungene Berufstätigkeit nach dem Ende klassischer Rollenmodelle, das Fehlen von Zeit und Energie gerade in stressigen Berufen, und die schlechte Auswahl an passenden Partnern im beruflichen Umfeld (Sie glauben gar nicht, wie schwer es heute in dieser erfolgsorientierten Gesellschaft ist, eine vermögende Nichtstuerin zu finden). Das alles wird durch eine gestiegene Anspruchshaltung verschärft, denn nach unten möchte man sich eher nicht verbinden, lieber nach oben, es gibt viele Kriterien, die man in den Partnerschaftsbörsen und im echten Leben als unverzichtbar markieren kann – und so dünnt das mögliche Angebot aus. Manche sagen sich dann auch: Wenn ich schon scheitere, dann wenigstens an einem vollkommen unrealistischen Niveau, und nicht an der Normalität. Davon leben dann Onlineschuhläden und Massagetechniken, aber darunter darbt das Ministerium für (seltener werdende) Familie, (häufige) Senioren, (wegbrechende) Jugend und (einsame und frustrierte) Frauen. Weil es einen eklatanten Unterschied zwischen Realität und politischen Vorgaben gibt.

Oder anders gesagt, weil dieses Ministerium wie ein Landwirtschaftsministerium ist, das sich allein um Ernten und nicht um die Saat und den Boden kümmert. Oder ein Verkehrsministerium, das sein Geld für Verkehrskontrolle ausgibt, auch wenn die Strassen längst zu staubigen Schlaglochpisten wurden. Eigentlich, das hat sich die I. mit mir ausgedacht, als es zur russischen Version von “Summer of 69” kam, legt sich dieses ganze Ministerium um das Kernproblem herum und tritt erst dann in Aktion, wenn man es gar nicht mehr bräuchte. Man bräuchte das Ministerium für die blinden Flecken und gegen die Realitätsverweigerung, das Ministerium für Singles, Sex und gute Stimmung (MfSSS).

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Denn hat man erst mal die Singles bei guter Stimmung, geht alles seinen natürlichen Gang. Natürlich ist es für liberal-konservative Menschen eine schwierige Vorstellung, bei der Anbahnung von Beziehungen zu unterstützen, die sich primär, sekundär und tertiäre einen feuchten Dreck um klassische Familienrollen scheren. Zuerst wären Feiern, Urlaubsangebote und Freistellungen für Kochkurse und andere sinnliche Unternehmen fast schon eine Belohnung für die Verhöhnung ernsthafter Absichten. Aber man muss das anders sehen: Wenn in meiner Altersstufe Singles in teuren Grossstädten dauerhaft zusammenfinden, werden sie vermutlich nicht jeder für sich 120 Quadratmeter in der Stadt und 60 in den bevorzugten Seelagen behalten, sondern eher eine ordentliche Villa kaufen, und damit sind dann wieder 240 Quadratmeter in den übervölkerten Städten frei. Wir am Tegernsee haben zum Beispiel so ein Einheimischenprogramm, wo die ärmsten Millionärskinder, wenn sie sich zusammentun, bevorzugt verbilligten Baugrund bekommen: da sieht man schon erste Ansätze für eine Partnerschaftsförderung, die durchaus Erfolg haben kann. Wenn der Anreiz und die Gelegenheit zum Partnerfinden nur gut genug ist – aber bitte nicht Urlaub an der Ostsee, ja? Oder nur für Maoridrachenmänner – werden schon mehr Menschen zueinander finden. Vielleicht nicht für immer, aber wie meine Oma schon zu sagen pflegte: Hauptsache, sie sind aufgeräumt. Und für so eine Aufgabe braucht man eben ein MfSSS, dessen MinisterIn vielleicht sogar beliebt werden könnte, wenn sich diese Person etwas geschickter als Frau Schröder anstellt.

In einem Land, das 500 Millionen für eine sinnlose Drohne verpulvert, mag der Aspekt der Wirtschaftlichkeit nicht sonderlich interessieren, aber ich möchte zu bedenken geben, dass all die teuren Massnahmen für Familien auch ihre Ursache darin haben, dass es in dieser Spätphase der Entwicklung zu wenige davon gibt. Würde man dagegen früher einsteigen, sagen wir mal durch Beziehungseinfädelungsurlaub, und dadurch die Zahl der Singles verkleinern, müsste man nachher vielleicht auch nicht mehr ganz so geldintensive Programme fahren. Frühphaseninvestment nennt man das in der Wirtschaft. Der Exit der Förderung kann dann um so früher erfolgen: Ist das Kind erst mal da, und ist es nichts Besonderes mehr, können sich die Ex-Singles ohnehin nicht mehr wehren, und hätten andere Sorgen.

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Irgendwelche Privatsender sind dann sicher gerne bereit, ihre Programme in den Dienst der guten Sache zu stellen, und das alles publizistisch zu begleiten, und für gehobene Schichten empfehle ich einen Blick auf italienische Magazine wie “Sposa White” – das sind wirklich harte Versuchungen auch für Vermögende, man sieht Paläste, Parks und Kathedralen. Ein paar hartgesottene Libertins werden natürlich übrig bleiben, aber viele werden froh sein, wenn der Staat generös Möglichkeiten bietet, der Einsamkeit zu entgehen. Demstaatschefeinkindschenkungsprogramme sind zwar historisch etwas belastet, aber mit der richtigen Umgebung und fröhlicher Erscheinung muss das nicht weiter auffallen; daher ja auch der Name des Ministeriums, mit dem urbane Zielgruppen etwas anfangen können. Die nötige Infrastruktur für so ein Ministerium wäre, das ist uns dann bei “Over the rainbow” auf Russisch auch eingefallen, ohnehin schon vorhanden: Das komplexe Auswahlverfahren der besten Paare könnte das MfSSS dem BND, der NSA und der Schufa überlassen, die haben ohnehin schon alle Daten.